Die Prinzessin der blauen Sande

Eine junge Frau mit schwarzem Zopf und einem bunt gestreiften Kleid sitzt auf einem Thron aus Eis. Generiert mit Microsoft Designer.
Die Prinzessin der blauen Sande (KI-generiert)

01. Die Insel

 

Der junge Mann sprang elegant von dem Fischerboot ins Wasser und schwamm auf die felsige Insel zu. Ein verrottender Steg ragte in das Meer hinein, nahe dem der sonnengebräunte, dunkelhaarige Mann den steinigen Strand erreichte und zwischen spärlich wachsenden Gräsern den Trampelpfad hinauf ging. Die Reste des Steges lagen vom Wetter bleich geworden zwischen den Steinen. Eine alte Frau mit langem weißen Haar und runzeliger Haut, gekleidet in einem bunten Wickelrock und einem grünen Oberteil aus grobem Stoff, kam dem Mann entgegen und grüßte ihn. „Willkommen, Herr. Ich habe Euch erwartet. Folgt mir ins Dorf.“, sprach sie und machte kehrt. Er ging ihr wortlos hinterher, doch sie schnatterte vor sich hin. „Lange hatten wir keinen Besuch mehr auf unserer Insel. Wir fürchteten, vergessen worden zu sein. Dann sah einer der Dorfbewohner das Boot und mir war klar, dass der Tag gekommen ist, den wir schon seit Jahren erwarten.“ Mit Stroh gedeckte runde Hütten kamen in Sicht. Sie standen im Kreis um eine zentrale Feuerstelle, neben der eine Art steinernes Totem mannshoch aus dem Boden ragte. Kinder, Frauen und Männer waren auf dem Dorfplatz mit ihren täglichen Dingen beschäftigt. Über dem Feuer hing ein großer Suppenkessel, aus dem ein angenehmer Duft strömte.

Als sie gemeinsam an die Feuerstelle traten, verbeugte sich die Greisin vor dem Totem, dann erhob sie ihre Stimme an die Leute gerichtet. „Er ist angekommen! Er wird seinen Leuten von uns erzählen, wenn er uns wieder verlassen hat. Bis dahin wollen wir ihn auf das Herzlichste willkommen heißen.“, tat sie den Bewohnern kund. Einige ließen ihre Arbeit ruhen, andere setzten ihr Tun fort, aber ihre Blicke blieben auf dem Besucher ruhen.

Er fasste Mut, sich an die Menschen des Dorfes zu wenden: „Mein Name ist Tapo. Ich bin nur ein Fischer. Eure Insel habe ich heute zufällig entdeckt und beschlossen, sie zu erkunden.“ Unsicher lächelte er in die Runde und sah dabei in freundliche Gesichter. Die alte Frau bot ihm einen Platz am Feuer an, ein Mann brachte Suppenschalen aus schlichter Keramik und hölzerne Löffel zu ihnen. Aus dem großen Kessel schöpfte er mit einer großen Kelle Suppe in die Schalen und reichte eine davon dem Gast, eine zweite der Alten. „Dies ist die Insel Galat. Mich nennen die Bewohner Yaya, ihre Mutter. Ich bin die Letzte meiner Generation, die einst dieses Eiland besiedelte. Wir führen ein einfaches Leben, doch es genügt uns.“, stellte sie sich endlich vor. Dennoch blieb in Tapo ein unbestimmtes Gefühl zurück, dass Yaya vorsichtig mit dem war, was sie preisgab.

Der junge Mann kostete von der Suppe, die ihn überraschte. Ihr süßlich-würziger Geschmack bestätigte den köstlichen Duft, den sie von sich gab. Mit der Einnahme des Mahls stahl er sich für einen Moment aus der Unterhaltung, was ihn Zeit zum Nachdenken ließ.

Die Insel war plötzlich aus einem dichten Nebel gespuckt worden, der das Morgengrauen in die Länge gezogen hatte. Noch in der sternenbeschienenen Nacht hatte Tapo sich an den Strand begeben und sein Boot bestiegen, damit er zum Sonnenaufgang bei den Fischgründen sein Netz aufwerfen konnte. Doch mit dem Wechsel zum Zwielicht der Dämmerung stieg auch der undurchdringliche Nebel aus dem Wasser empor. Als die Sonne den Nebel verdampft hatte, stand mit einem Mal der große Felsen vor ihm im Meer. Seine Neugier trieb ihn zur Insel hin und nun saß er hier mit ihren Bewohnern beim Essen. Der Fischer rang noch mit sich, ob er ihnen berichten sollte, wie er hierher gefunden hatte, als Yaya ihre Schale neben sich abstellte und ihre Worte sich mit seinen Gedanken vermischten. „Wir, die hier leben, können die Insel nicht verlassen, denn die Erdgeister binden uns hier. Einmal in jeder Generation lichtet sich der Schleier um uns für einen Tag und ermöglicht den Zugang von außerhalb. Als die Sonne aufging, bemerkten wir sofort, dass heute ein solcher Tag ist. Vielleicht liegt es in deiner Macht, uns dem Vergessen zu entreißen und die Erdgeister zu beschwichtigen. Uns ist das bisher nicht gelungen.“ Dann verstummte die Stimme Yayas in seinem Kopf. Tapo nahm langsam seine Umgebung wieder wahr, als würde er aus langen Träumen erwachen.

Nach einem kräftigen Atemzug wandte er sich an die Dorfälteste: „Ich will euch helfen und tun, was in meiner Macht steht. Nur weiß ich nicht, wie ich mit den Geistern sprechen soll.“ Sie lächelte mit zusammengekniffenen Augen. „Mit ihnen reden und sie auch überzeugen kann nur die Prinzessin der blauen Sande aus unserer Heimat. Das haben mir die Geister mitgeteilt, als sie beschlossen, uns hier zu behalten. Niemand, der je versucht hatte, die Felsinsel zu verlassen, kehrte zurück. Daher fügten wir uns dem Schicksal und hoffen an jedem hellen Tag der Sonne, dass jemand käme, uns zu retten.“ Plötzlich vibrierte der Boden unter ihnen und ein Grollen stieg aus den Tiefen empor. Das Totem schien zum Leben zu erwachen, obwohl es aus Stein bestand. Erschrocken und verwundert besahen Yaya und Tapo sich den Stein näher. Die Bilder auf der Stele bewegten sich tonlos und veränderten sich zyklisch. Die oberste Reihe gravierter Zeichnungen stellte eine Stufenpyramide dar, die von Wind und Regen abgetragen wurde, bis sie verschwunden war. Die mittlere Zeile zeigte Palmen, die an einem See standen, wo Zelte und Gebäude kamen und gingen. In der untersten Anordnung von Bildern erkannte Tapo den Lauf der Sonne, die beim Aufgehen die Spitze einer Pyramide berührte und zur Mittagszeit gegenüber einer Palme stand.

Yaya holte tief Luft. „Die Erdgeister haben dir mitgeteilt, wo du suchen sollst. Seit unserer Ankunft hatten sie sich nicht mehr geregt. Ich glaube, deine Entschlossenheit imponiert ihnen.“, stellte sie an den jungen Fischer gewandt fest. Tapo nickte. „Für das Essen bin ich euch dankbar und meine Hilfe sei euch gewiss. Ich werde die Prinzessin der blauen Sande finden und herbringen.“, versprach er vor der versammelten Dorfgemeinschaft.

Die Menschen der Insel begleiteten Tapo bis zum Strand, wo er sich winkend verabschiedete. Er schwamm mit kräftigen Zügen zu seinem Boot zurück und kletterte hinein. Ein letztes Mal grüßte er die Leute, ehe er das Ruder ergriff und auf sein Heimatdorf zusteuerte.

 

02. Ein langer Weg

 

Tapo dachte gar nicht mehr daran, dass er keinen einzigen Fisch aus dem Wasser geholt hatte, als er sich auf den Heimweg begab. Hinter ihm verdichtete sich wieder der Nebel um die Insel herum und die Dunkelheit der Nacht kroch über den Himmel. Als sein Boot an den Strand glitt, waren die Sterne über dem Meer klar zu sehen, die Insel entzog sich aber jedem Blick. Die Holzhütten, die erhöht auf Stelzen standen, wirkten ruhig. Das Dorf schlief und nur eine Handvoll Wachen schützte die Bewohner vor wilden Tieren. Leise ging Tapo zur Hütte seiner Familie und legte sich zum Schlafen auf die Matte aus verflochtenen Palmenblättern.

In seinen Träumen sah er eine Frau mit heller Haut, die inmitten meeresblauen Sandes auf einem Thron aus weißem Stein saß. Sie trug ein langes Kleid aus bunten Stoffbahnen, das wie ein Regenbogen wirkte. Das lange schwarze Haar lag zu einem Zopf geflochten über ihrer rechten Schulter. Mit dunklen Augen lächelte sie freundlich und mit einem Handzeichen bat sie Tapo, näher zu kommen.

Abrupt endete der Traum, als sein Vater den jungen Mann wachrüttelte. „Wo warst du, Junge? Wo ist dein Fang?“, blaffte der bärtige Mann seinen Sohn an, der sich die Augen rieb und versuchte, die Müdigkeit abzuschütteln. Es brauchte einen Moment, ehe Tapo einen klaren Gedanken fassen und seinen Vater beschwichtigen konnte. „Ich erkläre beim Frühstück alles und dann gehe ich auf die Reise.“, machte der junge Mann dem älteren klar. Seine Mutter saß bereits mit seinen vier Geschwistern an der Kochstelle, wo Hirsebrei in einem Topf garte, zu dem sie Kochbananen reichte. Streng schaute sie ihren ältesten Sohn an, in ihren Worten klang dennoch Nachsicht mit. „Du warst gestern den ganzen Tag fort. Was war passiert, dass du ohne Fisch zurückgekommen bist?“, wollte sie wissen. Tapo berichtete seiner Familie während des Essens von den Geschehnissen des Vortages und alle hörten ihm gespannt zu. Sein Vater tat es als Ausrede ab, während seine Mutter ihm zu glauben schien. Die jüngeren Geschwister waren von der Geschichte fasziniert und meinten, dass Tapo nach der Prinzessin suchen sollte, wie er versprochen hatte.

Der junge Fischer ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen und bereitete seine Abreise vor. Von seiner Mutter bekam er Proviant, eingeschlagen in ein großes Bananenblatt. Er bewaffnete sich mit einer Harpune und einem scharfen Messer, um sich in der Wildnis behaupten zu können. Mit Umarmungen und Küssen nahm Tapo Abschied von seiner Familie, nur sein Vater war zornig gegangen. Tapos Mutter würde ihn noch zur Vernunft bringen, versprach sie ihm.

Mit der Harpune, die er als Wanderstab nutzte, und einer aus Baumfasern geflochtenen Tasche, welche um seinem nackten Oberkörper hing, machte sich der schlanke Mann auf den Weg Richtung Norden, die Mittagssonne im Rücken. Er wanderte unweit des Strandes am Rand des Dschungels entlang, bis die Sonne sich anschickte, hinter den Wellen des weiten Meeres zu versinken. Tapo schnitt für sein Nachtlager einige große Blätter von einer grünen Staude.

Der warme Sand des Strandes und die Anstrengungen des Tages ließen ihn schnell einschlafen. Wieder brachten ihn seine Gedanken zu der fremdartigen, anmutigen Frau, die ihm auch diesmal ein Lächeln schenkte. Ihre Lippen formten Worte, die in seinen Gedanken widerhallten: „Ich erwarte dich. Die Erdgeister haben mir von dir erzählt.“ Die Prinzessin der blauen Sande zeichnete mit einem armlangen, metallenen Stab eine Karte in den feinkörnigen Untergrund, der sie umgab. Die junge Frau zeigte auf die Linien im Sand, wobei sie Bilder eines Flusses, von Bergen und einer Sandwüste in Tapos Kopf schickte. Er versuchte sie zu verstehen und sich einzuprägen, ehe er erwachte.

Geweckt wurde der junge Mann vom Gezeter eines Vogelschwarms, der aus den Baumkronen brach, als die Sonne über das Blätterdach des Urwaldes stieg. Von seinem Proviant nahm er einen Bissen und verstaute den Rest, um über den Tag zu kommen, dann setzte er seinen Marsch fort. Gegen Mittag kam er an einen Fluss, der sich breit gefächert in das Meer ergoss. Das Sumpfland des Flussdeltas machte ihm das Vorankommen schwer, weshalb er dem Meer den Rücken kehrte und dem Lauf des Stroms aufwärts folgte.

Der Weg wurde zunehmend steiniger und kam dem Bild nahe, das die Prinzessin ihm von dem Fluss gezeigt hatte. Als der Tag sich dem Ende näherte, kam in der Ferne ein großer Wasserfall in Sicht, doch Tapo beschloss, sich vor Einbruch der Nacht einen Unterschlupf zu suchen. An einen großen Baum gelehnt übermannte ihn die Müdigkeit und er fiel in einen schweren, traumlosen Schlaf.

 

03. Jenseits der Wasser

 

Der Morgentau ließ sich auf dem Blätterdach des Urwalds nieder und rann und tröpfelte von Blatt zu Blatt abwärts, bis der erste große Wassertropfen platschend auf Tapos Stirn traf, was ihn unsanft aufschreckte. Auch wenn es erfrischend war, kam er nur schleppend zu klarem Verstand. Schlaftrunken nahm er die letzten Happen seiner Wegzehrung zu sich. Die Kalebasse, die er mit sich trug, hatte der junge Mann bereits vor der Nacht leer getrunken, nun plagte ihn der Durst, doch der Fluss war nicht weit und noch immer tropfte der Tau von den üppigen Blättern der Bäume und Stauden. Unterwegs füllte er sein Trinkgefäß auf. Er kam dem Wasserfall näher, den er am Vorabend ausgemacht hatte und vernahm bereits das Tosen des aufgewühlten Stromes. Vor ihm stand die Sonne im wolkenlosen Himmel, die ihrem Zenit entgegen strebte.

Der Fluss schnitt immer tiefer in die Felsen hinein, je näher er dem Tafelberg kam, von dem der Wasserlauf hinab stürzte. Das Tal kam wie eine Schneise vor, die den endlos scheinenden Wald teilte. Sein Weg wurde steiniger, mühsamer und führte Tapo auf das Plateau, wo der Fluss breit und gemächlich seinem Bett folgte, ehe er an Geschwindigkeit zunahm und in die Tiefe schoss. Am anderen Ufer erkannte er Gebäude, deren Bauart im vollkommen unbekannt war, aber die Ähnlichkeit mit den Holzhütten ließ keine andere Annahme zu. In der grünen Flussaue grasten Antilopen und Büffel. Mit Vorsicht näherte sich Tapo der seichten Stelle des Flusslaufes, wo die Tiere sich aufhielten, um den Strom zu überqueren. Sie nahmen zwar Notiz von dem Menschen, aber sahen wohl keine Gefahr in ihm, denn sie schauten ihm nur nach und nahmen nicht Reißaus. Halb watete, halb schwamm Tapo durch das hellbraune Wasser, bis er die andere Seite erreichte.

Die Gebäude wirkten verlassen, dennoch siegte die Neugier und Tapo erkundete die Siedlung. Er betrat eine karge Hütte aus gestampftem Lehm, in der er sich umsah. Roter Staub bedeckte den Boden. Eine gemauerte Feuerstelle mit kalter grauer Asche befand sich in der linken hinteren Ecke des quadratischen Raumes, darüber war ein Loch in der Decke, durch die der Rauch abziehen konnte. Ansonsten war die Hütte leer und mutete an, seit langer Zeit nicht bewohnt gewesen zu sein. In jedem der kleineren Gebäude des verlassenen Dorfes bot sich dem jungen Fischer dasselbe Bild. Diese Siedlung war anders als jene, die Tapo bisher kannte. Es gab keinen zentralen Platz, der ringförmig von den Häusern umschlossen wurde, sondern nur eine breite Straße, an deren Ende das größte Gebäude des Ortes zu finden war. Es überragte die anderen Bauten um mehr als das Doppelte und wies verwitterte blaue Muster im bröckelnden Verputz auf. Der Eingang war durch eine Holztür verschlossen, die zwar alt, aber immer noch robust wirkte. Auch die Fenster waren verbarrikadiert.

Mit dem stumpfen Ende seiner Harpune drückte Tapo gegen die Bretter, die den Eingang blockierten, aber sie gaben nicht nach. An den Fenstern zu klopfen oder zu rütteln brachte ebenso wenig. Plötzlich rief eine krächzende Stimme von oben: „Geh weg, hier gibt es nichts zu holen!“ Ein dürrer Mann in einem zerlumpten, schmutzigen Kaftan, dessen leuchtendes Gelb man nur noch erahnen konnte, stand auf dem flachen Dach und zeterte. „Alle sind weg oder tot. Der rote Wind hat uns alles genommen.“ Tapo ließ sich nicht beirren, ging einige Schritte zurück, um die Gestalt besser betrachten zu können. „Bitte lasst mich ein. Ich bin nur auf der Durchreise und suche Schutz für die Nacht. Den dritten Tag bin ich nun unterwegs, ohne ein Dach über dem Kopf.“, ersuchte er um Einlass. Der schmale Kerl verschwand aus Tapos Sichtfeld. Kurz darauf klapperte es an der Tür, die mit lautem Knarzen nach innen aufschlug. Der Fischer trat ein. Schnell schlug der Hausherr die Pforte wieder zu und sicherte sie mit einem schweren Riegel.

„Auf der Durchreise also. Wohin des Weges, junger Mann? Es scheint, als kommst du vom Meer. Im Inneren des Landes trifft man Leute wie dich nur sehr selten an. Auf deine Geschichte bin ich gespannt.“, redete der knochige Mann mit rauer Stimme auf seinen Gast ein. Tapo sah sich in dem Haus um, lenkte aber schnell den Blick auf den Hausherren und antwortete wahrheitsgemäß: „Ja, ich komme vom Meer und heiße Tapo. Ich suche nach der Prinzessin der blauen Sande. Ihr Volk ist gefangen und nur sie kann die Leute retten. Sie haben mich um Hilfe gebeten und ich habe mich auf die Reise gemacht. Ich folgte dem Fluss, was mich hierher brachte.“ Trotz der Flecken auf seinem Gewand wirkte der abgemagerte Mann erhaben auf Tapo, wie ein Häuptling oder dergleichen. Er nickte als der Junge seine Erklärung abgegeben hatte und nahm auf einer schmalen hölzernen Bank Platz, ehe er erneut das Wort ergriff. „Außer einem Schlafplatz kann ich dir nichts anbieten, meine Vorräte sind beinahe aufgebraucht. Ich kann von Glück reden, dass mein Haus einen eigenen Brunnen hat, damit ich nicht verdurste.“, beschrieb er seine eigene Situation.

Erneut sah Tapo sich in dem fremd wirkenden Haus um. Die beiden Fensteröffnungen waren mit Brettern, die ebenfalls von einem Riegel gehalten wurden, versperrt. Nur wenig Sonnenlicht fiel durch die Ritzen, eine brennende Öllampe erhellte den Hauptraum zusätzlich, in dem bunte gewebte Teppiche an den Wänden hingen. Das Dach konnte man über eine einfache Leiter erreichen. „Bevor der rote Wind meine Stadt heimgesucht hatte, war ich der Ortsvorsteher. Über Tage wehte und stürmte es von den Bergen im Westen her. Der Wind trug den roten Staub mit sich, der zuerst den schwachen Menschen das Atmen erschwerte, woran sie nach kurzer Zeit starben.“, berichtete der Gastgeber traurig. „Nenn mich Hakim. Seit dem Untergang der Stadt habe ich mein Amt verloren und warte nur noch auf meinen eigenen Tod, den ich versuche hinauszuzögern. Ich habe Angst vor dem Sterben.“ Bei diesen Worten rannen Tränen dünn aus den tief liegenden dunklen Augen des älteren Mannes.

 

04. Innere Dämonen

 

Auf seiner Holzbank zusammengesunken, gehüllt in den mittlerweile viel zu großen gelben Kaftan, bekam Tapo Mitleid mit dem einsamen Mann, der von seinen Ängsten beherrscht wurde. Mit einem Kloß im Hals durchsuchte der junge Fischer das Haus nach Essbarem. Spärliche Reste von Hirse und Reis kratzte er aus teils zerbrochenen Tongefäßen. Getrocknete Früchte fand er in einem geflochtenen Korb. Im überdachten Innenhof entdeckte Tapo den Ziehbrunnen, aus dem er mit Mühen Wasser holte, denn das Reservoir lag tief unten im Brunnenschacht.

In der Küche entfachte der junge Mann in der Kochstelle ein Feuer, wusch das Getreide und ließ es in zwei kleinen Bronzekesseln köcheln. Auch das staubige Trockenobst reinigte er und weichte es ein. Er bemühte sich, ein annehmbares Mahl zu kochen, das beide sättigen würde. Ab und zu sah er nach Hakim, der auf seinem Platz eingeschlafen war, aber unruhig wirkte. Das Sonnenlicht verschwand bereits, als Tapo das karge Mahl in zwei Keramikschalen in den Wohnraum brachte. Der süßliche Duft erfüllte den dämmrigen Raum und Hakim erwachte mit überraschtem Gesicht und schnüffelnder Nase. Auf seinen Lippen zeigte sich ein Lächeln, sein Blick blieb auf der Schüssel haften, die er wie ein göttliches Geschenk mit beiden Händen zitternd entgegennahm. „Woher hast du das Essen? Es war doch nichts mehr da.“, gab er stockend von sich. Tapo grinste nur und bedeutete dem Andere zu essen, dann verließ er nochmals den Raum, nur um mit einem Krug voller Wasser und zwei Bechern zurückzukehren.

„Ich habe mich umgesehen und in der Kammer noch Reste gefunden, die ich verwerten konnte. Noch wäre Nahrung für einige Wochen vorhanden, wenn man sie mit Bedacht nutzt.“, erklärte Tapo. Genussvoll, mit kleinen Bissen nahm Hakim die kleine Mahlzeit zu sich, worüber sich der junge Fischer sehr freute.

„Danke, junger Freund.“, sagte der Hausherr und stellte seine geleerte Schale auf dem Tischchen ab. Als auch Tapo sein Mahl beendet hatte, brachte er das Geschirr in die Küche, wo er es im Schein des Herdfeuers reinigte. Die Nacht war bereits hereingebrochen, ein Sichelmond stand über der ausgestorbenen Siedlung, dessen fahler Schein den Innenhof spärlich erhellte. Tapo zog noch einmal den Eimer aus dem Brunnen, um den Wasserkrug wieder aufzufüllen.

Mit dem großen Gefäß in seinen Händen ging er zu Hakim zurück, doch welcher Schrecken durchfuhr ihn, als er den Wohnraum betreten wollte!

Um seinen Gastgeber herum zogen rote Wolken ihre Bahn, Hakims Augen glühten in düsterem Rot. An seinem Antlitz spiegelten sich Hass und Bösartigkeit.

„Er hat uns gefüttert. Er hat uns erweckt. Er hat seinen Tod besiegelt.“, flüsterte es mehrstimmig aus dem Mund des dürren Mannes, während die Intensität der Glut um ihn herum bei jedem Wort zunahm. Der Krug glitt Tapo aus den Händen und zerschellte platschend und krachend auf dem gefliesten Boden. Vor dem Wasser zuckten die Wolken zurück, als hätten sie Angst vor dem Nass.

Der Fischer fasste sich ein Herz, griff seine Harpune, die er an die Wand gelehnt hatte, und trat dem Geist aus Feuer und Wind mit ernstem Gesicht gegenüber. Erneut zischten Worte, einem düsteren Chor gleich, aus Hakims Mund, heiß wie ein Wüstensturm. „Du wirst die Prinzessin nicht befreien, sie gehört uns! Die blauen Sande wirst du niemals finden!“ Aus den roten Wirbeln erwuchsen Zyklone, die das Feuer, das nun aus Augen und Mund des Stadtobersten züngelte, ziellos durch den Raum schleuderten. Die schmückenden Wandbehänge begannen zu brennen und fielen herunter. Tapo flüchtete auf den Hof, versuchte einen klaren Gedanken zu fassen , um heil der Gefahr zu entrinnen. „Nutze die Wellen!“, manifestierte sich eine bekannte zarte Stimme in seinen Gedanken. Der Glaube an die Prinzessin der blauen Sande stärkte Tapos Entschlossenheit.

Das feurige Inferno breitete sich nun über das gesamte Gebäude aus, drang in den Hof vor, züngelte an allem, was brennbar war. Tapo stand angriffsbereit vor dem Brunnen, die Harpune mit der Wurfschleuder in der rechten Hand, den Arm lang nach hinten gestreckt. Seine Konzentration richtete er auf den Kopf des entstellten Körpers, von dem der einst prächtige Kaftan in verkohlenden Fetzen abfiel. Das Feuermonster wurde größer, je mehr seine Flammen zu fressen bekamen. Die Hitze kroch näher und näher, die Zyklone rasten mit Feuerzungen auf Tapo zu, die ihm schmerzende Striemen in die Haut brannten. Der Wind schleuderte ihn in den Brunnen hinein, nur der Widerhaken seiner Waffe bewahrte ihn vor dem tiefen Fall. Ein Moment der Hilflosigkeit, ehe er sich besann und die feuchte Kühle der Umgebung seine Gedanken beruhigte.

Unter ihm plätscherte das Wasser leise, über ihm glühte es am Rand des Schachtes feurig. Langsam stieg Tapo hinab in das Wasser, die Harpune diente ihm dabei als Steighilfe. „Die Wellen soll ich nutzen.“, sprach er zu sich selbst und fragte sich: „Wie bekomme ich das Wasser nach oben, ohne Zeit zu verlieren?“

Das kühle Nass klatschte wie zur Antwort gegen die Oberschenkel, obwohl er nur zwei Hände tief im Wasser stand. Mit bläulichem Schimmer stieg eine Fontäne auf, die sich einer Spirale gleich aufwärts schraubte und einen Strudel erzeugte, der das Wasser aus dem Untergrund nach oben sog und in einer riesigen Blase sammelte, die sich ohne Vorwarnung mit einem Schwall plötzlich entleerte. Von draußen ertönte ein erstickter Schrei, das rötliche Flackern über der Brunnenöffnung erstarb und es wurde dunkel.

Mühsam kletterte Tapo den Schacht wieder hinauf und sah sich auf dem Hof um. Hakims ausgemergelter Körper lag leblos und nass im Sand des Hofes, die Flammen hatten die Einrichtung des Hauses in Asche verwandelt, die nun dunkelrot, vermischt mit dem Staub der Wirbelwinde, auf den Fußböden im Inneren des Gebäudes klebte. Nur die Ställe im hinteren Bereich des Innenhofes waren vom Wüten der Elemente verschont geblieben. Dort würde Tapo den Rest der Nacht verbringen, bevor er am Morgen weiterziehen würde.

 

05. Hinter den roten Bergen

 

Vor Erschöpfung hatte Tapo geschlafen wie ein Stein. In Gedanken bedankte er sich bei der Prinzessin und den Wassergeistern für ihre Hilfe, als er wieder erwachte. Hakims verdorrter Körper lag reglos auf dem Hof, die Spuren des Feuers zogen sich wie eine Schneise der Zerstörung durch den vorderen Teil des Gebäudes. Es roch verbrannt.

Tapo blickte blinzelnd in die Morgensonne, als er auf die Straße vor dem Anwesen trat. Er zögerte und ging zurück zu den Ställen, um eine Schaufel zu holen. Am Rande der Siedlung begann er eine Grube auszuheben, denn Hakim sollte ein Begräbnis bekommen.

Die Sonne stand hoch am Himmel, als der junge Fischer die tote Stadt verließ und sich zu den Bergen im Süden aufmachte. Je weiter er kam, umso mickriger wurden die Pflanzen, nur welkes Gras wiegte sich im trockenen Wind. Das Gelände lenkte den schmalen Pfad ostwärts. Durch die roten Felsformationen pfiff es gespenstisch. Tapo beeilte sich, das Gebiet hinter sich zu lassen, denn ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, die Nacht dort zu verbringen. Kein größeres Tier kreuzte weder seinen Weg, noch seinen Blick, nur eine sandfarbene Schlange zischte ihn einmal an und verschwand schnell im spärlichen Gras.

Der Wind nahm zu, der rote Staub des Sandsteins kroch in seine Augen und in den Mund, dass er ausspucken musste. Das Atmen viel ihm schwerer, der Hals wurde ihm trocken und die Kalebasse war bald leer getrunken. Allmählich schwanden Tapos Kräfte, aber er kämpfte sich weiter durch die unwirtliche Gegend, bis sich vor ihm eine große weitläufige Ebene ausbreitete, nachdem er sich zwischen zwei eng beieinanderstehenden Felsen durchgezwängt hatte.

Das Gras der Savanne stand höher als im Bergland, das hinter ihm lag, vereinzelt ragten knorrige Bäume empor, an deren Kronen Tiere fraßen, die er so noch nie gesehen hatte. Sie hatten Ähnlichkeit mit den Antilopen, die er am Fluss gesehen hatte, doch sie wirkten größer und ihre Fellzeichnung sah anders aus. In der Nähe musste es Wasser geben. Seine schmerzenden Beine trugen den erschöpften Mann in die Abenddämmerung, bis seine Kräfte ihn verließen und er vor Müdigkeit stolperte. Er konnte sich nicht noch einmal aufraffen und schlief einfach ein.

Wirre Träume von Feuer und Sand suchten Tapo in dieser Nacht heim, das Atmen fiel ihm schwer, bis die Prinzessin der blauen Sande die dunklen Gedanken mit ihrer weichen Stimme vertrieb. „Ich schicke Hilfe. Du darfst nicht sterben.“, versprach sie und sah ihn an, bis er unsanft von ihr weggerissen wurde.

Jemand hatte ihm Wasser über das Gesicht geschüttet und klopfte auf seine Schulter. Benommen reagierte Tapo auf die Weckversuche des in viele Tücher gekleideten Menschen und griff nach dessen Hand. Eine weitere Person, die ebenso gekleidet war, half dabei, Tapo auf ein Reittier zu heben. Dann ritten sie mit dem Fischer gemeinsam durch die Savanne.

Immer wieder verlor Tapo für einige Zeit das Bewusstsein, ehe er in einem Zelt erwachte, wo sich eine Frau um ihn kümmerte. Sie kühlte seine Stirn mit nassen Tüchern. Als sie bemerkte, dass er die Augen öffnete, reichte sie ihm ein Trinkgefäß. Das Schlucken fiel Tapo schwer und er musste husten, dennoch war das Wasser eine Wohltat für ihn.

„Willkommen in der Oase Darfa, Wanderer.“, sprach sie mit einem fremdartigen Akzent. Ihre Haut war um einige Nuancen heller, als es bei Tapos Volk üblich war und sie trug grüne Kleidung mit goldfarbenen Ornamenten aus einem Stoff, der gleichzeitig fein und fest war und in mehreren Lagen ihren Körper bedeckte. Tapo versuchte sich aufzusetzen, aber er war noch zu schwach, die Frau half ihm dabei. Obwohl er sich noch sehr schwach fühlte, suchte Tapo das Gespräch mit der Nomadin. Sie reichte ihm ein heißes Getränk, das ihm dabei helfen sollte, bald wieder auf die Beine zu kommen und erzählte ihm, wer sie und ihre Begleiter waren.

Das Volk der Wüstenreiter, die sich selbst Bahiq nannten und ihre eigene Sprache pflegten, lebte seit jeher in der nördlichen Wüste. Nur sie selbst kannten ihren Ursprung und die Bedeutung der farbigen Sande, die das Schicksal formten. Die Bahiq sahen sich als die Kinder des Lebens, was die grüne Farbe ihrer weiten Gewänder symbolisierte. Unterwegs in der Sandwüste hüllten sie sich in lindgrün eingefärbte Stoffbahnen, die den feinen Staub von ihren Körpern fernhielten, den der Wind ständig mit sich trug. Selbst gegen die stärksten Stürme waren sie gewappnet und sie waren dafür bekannt, jeder Seele zu helfen, die sich in den endlosen Weiten verirrt hatte. Oft begleiteten die Wüstenreiter Handelskarawanen, um diese vor Unheil zu bewahren. Für ihren Mut und ihre Fähigkeiten wurden sie in den Städten, die am Rande der Ödnis lagen, sehr bewundert und man schätzte sie sehr.

Gespannt hatte Tapo ihrer Geschichte gelauscht, doch seine Augen fielen ihm immer wieder vor Erschöpfung zu. Nachdem sie zum Ende gekommen war, begann sie mit ruhiger Stimme in ihrer Sprache zu singen.

 

„Vergessen im Wind,

Vergangen im Sand,

Behütet vom Wasser,

Vor der sengenden Hitze,

Vor der klirrenden Kälte.

Wir kamen und gingen,

Es verstrichen die Jahre.

Wir finden uns ein,

Wo alles begann.

Tief vergraben in unseren Herzen,

Verschluckt von den wandernden Dünen

Kehren wir heim in unserer Mutter Land.“

 

Der junge Fischer schlief bald ein, doch das Lied folgte ihm in seine Träume und er verstand mit einem Male die Worte und deren Bedeutung. Die Prinzessin erschien ihm, als der letzte Ton verklang. Neben dem Rund aus blauem Sand befand sich nun ein grüner Kreis, in dem hinter einem üppig belaubten Busch, dessen Form einer Sitzbank nahekam, eine Frau mittleren Alters stand. Die Kleidung und das Gesicht glichen der Bahiq, die ihm umsorgte aufs Haar.

"Du hast mein Volk gefunden. Ich bin Tayemma, die Mutter des Lebens. Die Prinzessin bat um Hilfe für dich, also schickte ich meine Kinder, dich zu finden. Sie werden dich durch die Wüste leiten und dir auf dem Weg beistehen." Beide Frauen lächelten den Reisenden an und verabschiedeten sich mit einer kleinen Verbeugung von ihm, die kaum mehr als ein Nicken war. Dabei hielten sie die Arme vor der Brust gekreuzt. Tapo fiel in einen schweren traumlosen Schlaf, der seinen geschundenen Körper heilte.

 

06. Ehrenwerte Freunde

 

Erholt und ohne Schmerzen erwachte Tapo in dem Zelt, in dem sich die Frau der Wüstenreiter um ihn gekümmert hatte. Sie befand sich immer noch in seiner Nähe und öffnete die Augen, als sie bemerkte, dass der Reisende sich zu regen begann. „Tayemma …“, setzte Tapo an zu reden, doch die Nomadin unterbrach ihn. „Ich bin Yalima, Tayemma ist die Ahnin unseres Volkes, die uns gerufen hat, um dir zur Hilfe zu eilen. Sie trug uns im Traum auf, nahe den roten Bergen nach einem dunkelhäutigen Menschen zu suchen, der dem Tode nahe war. Unsere Reiter haben dich gefunden und nach Darfa gebracht. Es freut mich, dass du wieder zu Kräften gekommen bist.“, erklärte sie ihm freundlich lächelnd. Dabei legte sie ein hellblaues Gewand neben den Fischer, das dem Kleidungsstil der Bahiq entsprach. Auf seinen fragenden Blick hin, legte sie ihm dar: „Du bist der Günstling der Prinzessin und kommst vom Meer her zu uns, deshalb soll deine Kleidung die Farbe des Wassers tragen. Ich werde dir beim Anlegen behilflich sein.“ Yalima war geübt darin, mit den langen Stoffbahnen umzugehen und wies den jungen Mann an, wie er sich bewegen sollte, während sie ihm nahe brachte, was es mit der Kleidung ihres Volkes auf sich hatte.

„Sie schützt vor der Hitze des Tages und wärmt dich in der Kälte der Nächte. Turban und Schleier halten den Staub und den Sand von deinem Kopf und dem Gesicht fern. Wir werden einige Tage unterwegs sein, bis wir den östlichen Rand der Wüste erreichen. Den weiteren Weg werden wir dort in der Stadt der Bergbewohner planen. Tayemma und die Prinzessin werden uns leiten.“, endete sie zuversichtlich und Tapo stand in seine neuen Kleider gehüllt da. Für ihn war es ungewohnt, viel mehr als die Scham zu bedecken, denn wo er herkam, wechselten mit dem Regen die Jahreszeiten und es war immer warm. Die Wüste war anders, der tägliche Wechsel der Temperaturen war etwas Unbekanntes für ihn, doch er nahm die geänderten Umstände an, weil er sein Versprechen zu halten gedachte.

Yalima ging mit Tapo nach draußen vor das geräumige Zelt. Dort stellte sie ihm die anderen Mitglieder des Clans vor, die sich an dem See niedergelassen hatte, der das Leben in der Oase ermöglichte. Einige Palmen und ein von den Winden verformter Felsen spendeten Schatten, in dem die Leute jeden Alters im Gras um ein Lagerfeuer herum saßen und sich in ihrer fremd klingenden Sprache unterhielten. Die Anwesenden verstummten, als Tapo und Yalima sich ihnen näherten. Sie schauten ihn durch die Sehschlitze ihrer gewickelten Kopfbedeckung, die sie "agesh"nannten, abschätzend an. Ein Mann, dessen Alter man aufgrund der verschleiernden Kleidung nur nach seiner Stimme einschätzen konnte, richtete sein Wort an den Neuankömmling: „Der Günstling der Prinzessin ist genesen. Wir können unsere Reise also bald beginnen. Komm in unsere Mitte und iss mit uns, Nelay.“, begrüßte er Tapo.

Das Wort „Nelay“ lässt sich nur schwer in die Sprache der südlichen Fischer übertragen und stimmt am ehesten mit der Bezeichnung „Herr“ oder „Erhabener“ überein. Die Bahiq würden ihren Gast weiterhin so ansprechen, was Tapo ohne Einwand akzeptierte.

Die Feuerstelle war durch einen Kreis aus runden Steinen begrenzt, wo am inneren Rand ein Kessel in der Glut stand und auf einem langen Metallspieß Fleischstücke über der Hitze des Feuers brutzelten. Mit einem „Danke sehr.“ nahm Tapo die Einladung zum Essen an und setzte sich zu dem Mann, der ihm eine Schüssel, gefüllt mit gekochtem Getreide, gegarten Wurzeln und gebratenem Fleisch, reichte und ihm freundlich bestimmt zunickte. Nachdem er die Schüssel geleert hatte und gesättigt war, bot Yalima ihm einen Becher mit einem heißen, aromatischen Getränk an. Es schmeckte leicht bitter und sehr süß, was Tapo recht gut gefiel.

Er erzählte beim Tee den Nomaden, die ihm aufmerksam zuhörten, von seiner bisherigen Reise. Die Begegnung mit dem Feuerdämonen nahmen sie mit Sorge zur Kenntnis. „Das Vergehen gehört zum Kreislauf des Daseins, doch das ist abscheulich.“, kommentierte der Anführer des Stammes, der Tapo einen weiteren Becher Tee anbot. Der Fischer setzte seine Geschichte fort, bis er mit Dank und Lob für das Essen endete. Nochmals schenkte einer der hellgrün bekleideten Nomaden dem Gast Tee nach. Als Tapo diesen dritten Becher geleert hatte, wandte sich das Stammesoberhaupt nochmals an ihn: „Nach deinem dritten Tee gehörst du nun zu uns und stehst unter dem Schutz der Bahiq. Wir heißen dich bei uns willkommen, Nelay.“ Die anderen Anwesenden klatschten, manche schlugen sogar Trommeln in schnellem Takt an. Einige Frauen erhoben sich und tanzten zu dem Rhythmus im Schein der Flammen, die Sonne verabschiedete sich gerade im Abendrot hinter den Dünen. Auch ein paar Männer ließen es sich nicht nehmen und bestiegen ihre Reittiere, die sie, dem Trommelschlag folgend, um die Tanzenden im Kreis gehen ließen. Hell stand der zunehmende Mond über dem Sandsteinfelsen der Oase und beschien die feiernden Nomaden und ihren Gast.

Irgendwann kroch die Kälte der Wüstennacht heran, nach und nach gingen die Menschen in ihre Zelte, um sich schlafen zu legen. Ein paar Wachen hüteten über Nacht das Feuer und bewachten das Lager. Nachdem sich der Häuptling verabschiedet hatte, wurde Tapo von Yalima in das Zelt gebracht, in dem er von ihr gepflegt worden war. Sie wünschten sich eine gute Nacht und schliefen bis zum Morgengrauen.

 

07. Durch die Wüste

 

Die Nomadin weckte Tapo, als die Sonne sich gerade anschickte, den neuen Tag zu erhellen. Noch lag ein feiner Dunst über der Oase, den die warmen Strahlen schnell verschwinden ließen. Es herrschte Aufbruchstimmung. Die Leute bauten die Zelte ab und beluden ihre Pferde und Dromedare mit den Bauteilen. Wer sein Hab und Gut bereits versorgt hatte, half den anderen beim Verstauen ihrer Sachen. Da Tapo mit dem Leben unter den Bahiq noch nicht vertraut war, zeigten ihm seine neuen Freunde, was er tun musste. Bald war der gesamte Stamm marschbereit, der Anführer stellte sich auf seinem braunen Pferd vor die Leute und hielt eine kurze Ansprache.

„Der Nelay ist unter uns, wir haben ihn als Bruder aufgenommen. Nun lösen wir unser Versprechen an Tayemma ein und begleiten ihn zu seiner Prinzessin.“, waren seine Worte. Er ritt voraus, unter freudigem Geheul folgte ihm sein Volk der Sonne entgegen.

Der Zusammenhalt unter den Bahiq gefiel Tapo sehr. Nach einigen Tagen hatte er jedes Mitglied des Stammes kennengelernt und konnte sie trotz der einheitlichen Kleidung von einander unterscheiden. Sobald die Sonne im Untergehen begriffen war, hielt die Karawane an und die Nomaden errichteten ein provisorisches Nachtlager. In der Morgendämmerung brachen sie wieder auf und setzten die Reise fort. Es brauchte fast neun Tage, bis sie die Wüste durchquert hatten und das nordöstliche Bergland erreicht hatten. Auf dem breiten, flachen Rücken des Gebirges schmiegten sich Gebäude in das Bild der Felsen, als wären Stadt und Landschaft eine Einheit. Nur vereinzelte Türme verrieten menschlichen Einfluss. Die Farbe des Untergrundes wechselte vom eher gelben Sand zu einem ockerfarbenen Ton, der sich landeinwärts zu einem satten Braun wandelte. Täler, die in grauen Vorzeiten Wasser führten, durchschnitten die Hochebene wie ein Netz antiker Straßen. Von ihnen zweigten die Handelswege ab, die zur Felsenstadt hinauf führten.

Das dicke, leicht verwitterte Holztor wurde von zwei gerüsteten Kriegern bewacht, die kurz mit dem Stammesoberhaupt sprachen. Danach durfte die gesamte Karawane passieren. Der Ringwall, teils aus natürlichen Formationen bestehend, hatte nur wenige Zugänge und an jedem standen Wachen, die darauf achteten, wer die Stadt zu betreten gedachte. Der Zug der Nomaden, mit Pferden, Kamelen, Ziegen und Schafen, sorgte für einiges Aufsehen unter den Bürgern. Auf dem zentral gelegenen Marktplatz hielten sie an. Hier sprach der Anführer mit einem Vertreter der Stadt, der reichlich irritiert wirkte, die Bahiq aber willkommen hieß. Häuptling Zegal unterrichtete seinen Stamm über das weitere Vorgehen. „Wir werden hier unseren Marktstand aufbauen. Das Lager schlagen wir vor der Stadt auf der anderen Seite der Hochebene auf. Nach zwei Nächten ziehen wir weiter nach Westen.“, bestimmte er und die Leute machten sich ans Werk.

Tapo ritt mit dem Großteil des Clans an das andere Ende der für ihn riesig anmutenden Siedlung, wo ein anderes Stadttor auf die erwähnte Ebene mündete. Eine Wache war mit ihnen gekommen und wies ihnen den Platz für ihren Aufenthalt zu, daraufhin machten sich die Bahiq an den Aufbau der Zelte. Abends kamen Zegal und die Händler aus der Stadt in das kleine Zeltlager und berichteten bei einem Becher Tee über das Tagesgeschäft. Tapo fühlte sich bei den Nomaden schon sehr heimisch und bewunderte ihre besonnene Art, doch drängte es ihn weiter, der Prinzessin entgegen, die ihm immer wieder in seinen Träumen erschien. Sie machte ihm Mut und schürte sein Vertrauen in die Wüstenreiter, auch die Mutter des Lebens, Tayemma, bekräftigte ihn in seinem steten Tun. Jeder Schritt zählte und jede bewältigte Etappe bedeutete einen großen Fortschritt bei seiner Reise.

Am Morgen nach der zweiten Nacht im Schutze der Felsenstadt kam Zegal zu Tapo und sprach mit ihm: „Von hier an kann dich nicht mehr der gesamte Stamm begleiten, Nelay. Der Ruf der Mutter und unsere Geschäfte führen uns in unterschiedliche Richtungen. Doch wirst du nicht allein deinen weiteren Weg gehen müssen, denn ich gebe dir zwei meiner Reiter und Yalima zur Begleitung mit. Dazu erhaltet ihr ausreichend Proviant, um die nächste Siedlung ohne Hunger und Durst erreichen zu können.“ Tapo akzeptierte die Entscheidung des Stammesoberhauptes, auch wenn es ihn gefreut hätte, weiterhin im Tross der Karawane zu reisen.

Yalima und die drei Männer bauten mit den anderen Bahiq die Zelte ab und rüsteten ihre Gruppe mit den Vorräten aus. Zwei Dromedare und zwei Pferde sollten die Ausrüstung des kleinen Trupps tragen. Getreide, getrocknete Früchte und Trockenfleisch bildeten ihre Nahrungsgrundlage, ihre Kalebassen und Wasserschläuche waren prall gefüllt und wogen schwer.

Während die Karawane zurück in die Wüste zog, bewegte sich die Vierergruppe in südlicher Richtung voran und folgte einem der Wadis.

Die nächsten Tage und Nächte verliefen ereignislos, bald schien der Vollmond über den schroffen Bergen, die kein Ende nehmen wollten. Bei den Nachtwachen lösten sich die vier regelmäßig ab, eine Sanduhr half ihnen beim Bestimmen der Dauer ihres Dienstes. Tapo und seine Verbündeten kamen so zügig voran, dass sie noch drei Tage mit ihrem Proviant gereicht hätten, als die nächste Siedlung in Sicht kam. Aus Lehmziegeln gemauerte Hütten beherrschten das Bild des Dorfes, ein Marktplatz nahm die Mitte des Ortes ein. Ganeg und Farai, die beiden Reiter, die mit Yalima und Tapo unterwegs waren, übernahmen die Gespräche mit den Einheimischen. So konnte die Gruppe ihre Vorräte aufstocken und die Wasserbehälter auffüllen. Für eine Nacht würden sie am Rande des Dorfes rasten und sich erholen, ehe es westwärts weiterging.

 

08. Eine schicksalhafte Begegnung

 

Das Nachtlager wurde am Morgen zügig abgebaut und auf die Tiere geladen. Ausgeruht konnten sie ihre Reise zur Pyramide wieder aufnehmen. Die Prinzessin der blauen Sande versicherte Tapo im Traum, dass er auf dem richtigen Weg war, was sein Vertrauen in die Mission festigte. Mit seinen Kameraden sprach er abends am Feuer bei einem Becher heißen Tees über seine Gedanken. Yalima und die beiden Männer bestätigten dabei ihr Versprechen, dem Nelay beizustehen, was auch immer geschehen mochte.

Der Mond nahm wieder ab, je weiter ihre Reise sie brachte und nach weiteren fünf Tagen hatten sie das Bergland endlich hinter sich lassen können. Über eine fruchtbare Ebene, durchzogen von gleichmäßig angelegten Wassergräben, ritten sie gemächlich auf den geraden Feldwegen dahin. An einem breiten, schlammigen Fluss, von dem die Kanäle abzweigten, lag eine Stadt, die sie besuchten, um den Proviant erneut aufzufüllen. Die geräumigen Häuser waren aus gelben Ziegeln gemauert, die befestigten Straßen und Plätze wiesen Muster in braunen und roten Farbtönen auf. Mitten am Tag herrschte wenig Verkehr in der Siedlung, denn die meisten Menschen arbeiteten auf den Feldern, die die berittene Gruppe hinter sich gelassen hatte.

„Die Kommune Kapan. Sie haben keinen Anführer, aber eine starke Gemeinschaft. Menschen aus allen Himmelsrichtungen haben sich hier zusammengefunden, um eine friedliche Gesellschaft aufzubauen.“, berichtete Farai, der offensichtlich schon einmal hier gewesen war. Die Hufe der Reittiere klapperten schallend über das bunte Steinpflaster der schmalen Straße, die an einem rechteckigen Platz endete, der von Wassertrögen und Springbrunnen gesäumt war. Tapo und die Nomaden stiegen ab und ließen die Pferde und Kamele trinken. Ganeg betrat ein Haus an der Südseite des Platzes, Yalima und Farai legten zwei Teppiche aus und ließen sich nieder. Immer wieder war Tapo davon beeindruckt, wie unterschiedlich Menschen leben konnten. Vor seiner Reise hatte er nie darüber nachgedacht, denn das kleine Dorf, in dem er aufgewachsen war, bedeutete für ihn bis dahin die Welt. Seine Freiheit war das Meer gewesen. Nun wusste er, dass es so viel mehr zu entdecken gab und beobachtete alles Neue so genau, wie es ihm möglich war, ohne sein Ziel aus den Augen zu verlieren.

Ganeg kam aus dem auf den Platz gelaufen, hinter ihm ging eine ältere Frau, die ein langes fliederfarbenes Kleid trug, auf dem Kopf hatte sie ein feines Tuch, dessen Enden auf ihren Schultern ruhten. Ein wenig Ähnlichkeit glaubte Tapo mit Yaya von der Insel im Nebel in ihr zu erkennen. Er war überrascht, als sie begann in seiner Sprache zu reden. „Du bis der Gesandte der Prinzessin? Zeig dein Gesicht.“, forderte sie den Fischer ruppig auf, der ihrer Anweisung sogleich Folge leistete und den Schleier des Agesh löste. Mit einem versöhnlicheren Ton fuhr sie fort: „Gut, du bist es. Dein Kommen wurde angekündigt. Setzen wir uns und reden.“ Etwas verwirrt nickte Tapo, dann ging die Frau zu dem Gebäude zurück, das sie eben erst verlassen hatte. Tapo folgte ihr, nachdem er seinen Turban abgenommen hatte. Einfache hölzerne Möbel und eine gemauerte Arbeitsfläche beherrschten den Raum, in einem Ofen brannte ein flackerndes Feuer. An den Wänden hingen vollgestellte Regale und getrocknete Pflanzen. Die Frau deutete Tapo, sich auf die Bank zu setzen, sie nahm einen dampfenden Wasserkessel vom Herd und brühte damit einen wohlriechenden Kräutersud auf, dann nahm sie ihm gegenüber Platz und stellte die Kanne und zwei Tonbecher auf dem Tisch ab.

„Ich gehöre zu den Ältesten von Kapan. Nachdem mein Volk aus der Heimat vertrieben wurde, siedelten wir uns hier an. Nur wenige Menschen hatten die Feuer überlebt, die uns zwangen die blauen Sande zu verlassen. Unsere neue Stadt sollte eine Zuflucht für alle werden, die in Not geraten waren. So entwickelte sich unsere Kommune, in der wir seitdem friedlich, ohne Herrscher und Zwang, leben. Meine Schwester Yaya führte damals eine andere Gruppe von Flüchtlingen an. Sie zogen nach Westen, dem Meer entgegen. Unsere Verbindung ist so stark, dass wir uns im Traum besuchen können, während wir schlafen. Sie berichtete mir von dir, Tapo. Mein Name ist Puna und ich bin froh, dass du nun hier bist.“, eröffnete die Frau dem jungen Fischer, dem die Überraschung im Gesicht abzulesen war.

Nach einem längeren Moment des Nachdenkens formten sich in Tapos Kopf Fragen. Er fühlte sich unbehaglich, ausgenutzt und verstand nicht wirklich, was vor sich ging.

„Was hat es mit den Erdgeistern auf sich? Warum ist die Prinzessin so wichtig? Was habt ihr und Yaya mit all dem zu tun?“, sprudelte es aus ihm heraus. Puna atmete schwer ein und langsam wieder aus, ehe sie antwortete. „Die Erdgeister sind Verbündete gegen das Feuer, das einst die Macht über die blauen Sande beanspruchte. Yaya und ich waren damals die Hohepriesterinnen der Prinzessin. Sie ist die Göttin des Wassers, so wie Tayemma die Göttin des Lebens ist. Der Herr des Feuers war gierig geworden, überfiel unser Land und nahm die Prinzessin gefangen. Der große Windgeist schloss sich dem Tyrannen an. Der Erdriese zog sich zurück, doch seine Untergebenen blieben loyal und unterstützten uns im Geheimen. Wir Schwestern können die Zeichen der Erdgeister deuten, aber nicht direkt mit ihnen in Kontakt treten. Sie fanden heraus, wo der Herr des Feuers unsere Prinzessin gefangen hält und teilten ihr Wissen mit dir, als du auf der Nebelinsel warst. Der Windgeist, dessen Kraft einem Zyklus unterworfen ist, hält dort meine Schwester und ihre Sippe gefangen. Nur die Prinzessin der blauen Sande kann sie befreien, deshalb musst du sie zuvor finden. Unsere Welt wird sich wieder beruhigen, sobald die fünf Elemente wieder im Gleichgewicht sind.“, erklärte Puna geduldig die Situation.

 

09. Freundschaften pflegen

 

Tapo verstand die Umstände, doch immer noch fühlte er sich, als hätte man ihn wie einen Esel unfreiwillig vor einen Karren gespannt und mit einer Rübe gelockt. Sein Versprechen wollte er trotzdem nicht brechen und beschloss, der Aufgabe weiterhin nachzugehen. Allem in ihm widersprach es, die Prinzessin und Yaya im Stich zu lassen. Mit neuem Selbstbewusstsein stand er auf und blickte ernst auf Puna herab. „Ich werde die Prinzessin befreien, auch wenn ich mich getäuscht fühle. Mein Wort gilt immer noch und ich werde mein Bestes tun, es einzulösen.“, versprach er der Alten und verließ mit langsamen, schweren Schritten den Raum.

Auf dem Platz hatten seine drei Begleiter auf Tapo gewartet, nun schauten sie ihren Freund fragend an. Stockend begann er zu reden: „An unserem Ziel hat sich nichts geändert. Ich bin nur enttäuscht, dass um die wahren Gründe ein Geheimnis gemacht wurde.“ Dann erzählte er wortgetreu, was er von Puna erfahren hatte. Die Bahiq versicherten ihrem Nelay, ihm zu folgen, wohin er sich auch wenden mochte. Damit bestätigten sie ihm die Freundschaft und seine Zugehörigkeit zum Stamm. Ihr Nachtlager errichteten sie außerhalb der Stadt, am nächsten Morgen zogen sie mit der aufgehenden Sonne im Rücken weiter. Von der Prinzessin hatte Tapo in jener Nacht nicht geträumt.

Ihre Tiere trugen die Reiter an einem Seitenarm des breiten Flusses entlang. Saftiges Gras und fleischige Stauden säumten das morastige Ufer. Die Umgebung erhob sich leicht und wandelte sich allmählich zu einer bewaldeten Hügellandschaft, die von einigen schmalen Bächen durchflossen wurde. „Morgen werden wir den letzten Ort erreichen, den ich fernab der Wüste noch kenne.“, bemerkte Farai mit wehmütigem Ton. „Weiter als bis dort war unser Volk nie vorgedrungen, alles was dahinter liegt, kennen wir nur aus Erzählungen unserer Handelspartner.“ Eine Weile noch trotteten sie in Gedanken versunken voran, bis Yalima ein melancholisches Lied anstimmte.

 

„Fern der Heimat, nicht allein,

In Mutters Schoß behütet fein.

Die Wiege fern, ihr Schaukeln nah,

Das Leben spüren, am Wasser klar.

Das Ziel in Sicht, mit Mut voran,

Im Herzen die Liebe, die Angst nehmen kann.“

 

Die Melodie klang noch lange in ihren Gedanken nach und alle vier Reiter summten sie bedächtig vor sich hin. Als vor ihnen die Sonne im Abendrot versank, machten sie halt und bereiteten sich auf eine weitere Nacht vor. Als das Lagerfeuer niedergebrannt war, begaben sich Ganeg und Farai zur Ruhe. Yalima leistete Tapo, der durch das Blätterdach nach oben schaute, noch Gesellschaft. Der fehlende Mond ließ die Sterne umso heller am Himmel blinken. „Wir finden die Prinzessin und setzen dem Wüten des Feuers ein Ende.“, sprach die Frau mit fester Stimme. Tapo drückte ihre Hand und nickte ihr zu.

„Unsere Legenden erzählen, dass meine Familie direkt von Tayemma abstammt. Sie ist demnach meine Ahnin und auch die Mutter aller Bahiq. Darfa soll einst eine blühende Stadt in einer fruchtbaren Gegend gewesen sein, bis Feuer und Wind sie zerstörten und unser Volk töteten. Die Überlebenden wurden heimatlos und begannen durch die sich ausbreitende Wüste zu streifen. Sie fanden sich mit ihrem Schicksal ab und wurden zu den Nomaden, die wir Bahiq heute sind. Immer wieder kehren wir zu dem Ort zurück, der uns genommen wurde. Nun ist er schon lange Zeit im Sand versunken und übrig blieb dieses eine Wasserloch in der Wüste. Wir haben daher allen Grund, mit dir zu ziehen.“, berichtete Yalima von der Geschichte der Bahiq.

Bald darauf wünschten sie sich eine gute Nacht und legten sich schlafen. Diesmal erschien die Prinzessin wieder in Tapos Träumen. Sie machte ein trauriges Gesicht und schaute ihn von ihrem Thron ernst an. „Ich konnte dir noch nicht alles erzählen. Ich hielt die Zeit dafür noch nicht gekommen. Nun kennst du die Geschichte von Puna und Yaya, die mich nicht beschützen konnten, als das Inferno über uns hereinbrach. Ich möchte nur, dass mein Volk wieder vereint wird und die Schwestern sich in die Arme schließen können.“, offenbarte sie Tapo ihre Beweggründe. Er lächelte die Göttin des Wassers an und zauberte auch ihr ein kleines Schmunzeln auf die Lippen. Sein Gram über die Geheimnistuerei war mittlerweile überwunden. „Bald haben wir es geschafft, der Weg ist nicht mehr weit. Wir werden dich befreien und das Feuer in die Schranken verweisen.“, sicherte er ihr zu, dann löste die Prinzessin sich aus Tapos Gedanken und ließ ihn schlafen.

Mit neuer Kraft begannen die vier Reiter den nächsten Tag und begannen nach einem kleinen Mahl die nächste Etappe ihrer Reise. Einmal kreuzte ein großer brauner Bär ihren Weg, der bald das Interesse an ihnen verlor und sich trollte. Nachmittags erreichten sie das Dorf, das Farai am Vortag erwähnt hatte. Nur ein paar Blockhütten bildeten die Siedlung, deren Bewohner von dem lebten, was der Wald und die Bäche hergaben. Pilze, Beerenfrüchte und Fleisch stellten ihre tägliche Nahrung dar und sie handelten mit den Fellen der erlegten Wildtiere. In der Schenke des kleinen Ortes roch es unangenehm für die Reisenden, die dort das Gespräch mit den Männern suchten, die das Sagen im Dorf hatten. Ganeg konnte ein paar glitzernde Steine gegen etwas Fleisch eintauschen, das sie abends am Feuer in einem Kessel mit aromatischen Kräutern kochten.

 

10. Marsch im Regen

 

Beim gemeinsamen Essen abseits der Holzhäuser unterhielten sie sich, wie sie es bei jeder Rast am Ende des Tages taten. Doch diesmal war es anders, denn keiner der vier war jemals weiter von der Heimat entfernt gewesen, als an jenem Ort. Farai, der als einziger in der Runde diesen Wald schon einmal bereist hatte, teilte seinen Freunden mit, was ihm über diese Region bekannt war. „In der Schenke hatte ich die Leute nicht nur um einem Lagerplatz gebeten, sondern auch nachgefragt, was hinter dem Wald liegt. Von Norden her kommt ein Bachlauf, der durch sumpfiges Gebiet rinnt, seinen Ursprung hat er in einem hohen, schneebedeckten Gebirge. Wenn wir nach Osten gehen, reiten wir durch bewaldetes Terrain an den Bergen entlang, bis sie in einem kalten Flachland auslaufen. Nördlich davon beginnen die blauen Sande, wo es sehr kalt sein soll.“, berichtete er. Yalima machte sich darüber Gedanken und teilte dann ihre Idee mit: „Wenn es immer kälter wird, je weiter wir kommen, werden wir wärmere Kleidung benötigen. Wir können Pelze von den Einheimischen erwerben und unsere Gewänder damit aufwerten.“ Die drei Männer waren einverstanden und alle stießen mit ihren Teebechern an, um den Vorschlag zu besiegeln.

Am Morgen ging Farai nochmals zu den Jägern und Holzfällern, wo er ein paar Edelsteine gegen Felle und Verpflegung eintauschte. Ganeg, Yalima und Tapo bauten derweil das Lager ab und verstauten alles auf den Tieren. Gemeinsam entschieden sie sich für den westlichen Weg, der ihnen weniger strapaziös erschien. Ein schmaler Pfad, auf dem sie nur hintereinander reiten konnten, schlängelte sich durch den von Nadelbäumen beherrschten Wald. Wolken verdeckten seit der Frühe die Sonne und gegen Nachmittag begann es in Fäden zu regnen. Der Weg wurde matschig, der unweit entlang plätschernde Bach füllte sich und schäumte auf. Der Wind nahm zu, spie der Gruppe die Regenfäden hart ins Gesicht und durchtränkte ihre Kleidung bis auf die Haut. Bald war ein Vorankommen nicht mehr zu denken, alle stiegen von ihren Reittieren ab und suchten verzweifelt nach Schutz vor dem Unwetter. Von den festgezurrten Körben und Rollen, die vor allem die beiden Kamele trugen, rann in Rinnsalen das Wasser herunter.

Unter einem Felsüberhang machten sie kurz Halt, um ihre Lage zu besprechen. „Wir müssen weiter, vielleicht finden wir irgendwo nahe der Felsen einen Unterschlupf, ähnlich wie diesen.“, meinte Yalima. Zu Fuß, die Tiere im Schlepptau tasteten sie sich langsam durch Regen und Matsch voran. Wie viele Stunden sie durch das ungemütliche Wetter zogen, konnten sie nicht erahnen, aber es kam ihnen sehr lang vor. Tapo entdeckte als erster die Holzkonstruktion, die aus dem Berg ragte und eilte darauf zu. Ein schmaler Schacht führte in den Felsen hinein, gestützt von schweren Balken. Der Boden wirkte ausgetreten. Die Menschen mussten gebeugt gehen, um nicht mit den Köpfen an die Decke zu stoßen. Die Tiere passten gar nicht hinein. Ganeg blieb bei ihnen, während die anderen die Gänge mithilfe von Öllampen erkundeten.

Die Gewänder trockneten nur langsam und klebten ihnen auf der Haut, aber wenigstens waren sie nun im Trockenen. Auf den hölzernen Versteifungen der Stollen entdeckte Farai Zeichen mit unbekannter Bedeutung, vermutlich eine Schrift. Der Tunnel war geradewegs, ohne eine Abzweigung, in den Berg getrieben worden und zog sich über eine große Strecke hin. Erzadern blinkten im Schein des fahlen Lichtes aus den Öllampen. Plötzlich hörten sie vor sich in einiger Entfernung ein Rumpeln und Schleifen. Langsamer als bisher wagten sie sich vorwärts und beobachteten den Tunnel. Yalima löschte ihr Licht, Tapo und Farai taten es ihr gleich. Nach einem Moment der Gewöhnung fiel ihnen auf, dass es am Ende des Ganges nicht dunkel war, sondern ein grünlicher Schein mehrere Schritte vor ihnen einen breiteren Abschnitt des Tunnels erhellten. Unverständliche Stimmen erreichten die Ohren der drei, als die mechanischen Geräusche ein Ende fanden. Zwei bärtige Männlein, breiter als ein gewöhnlicher Mensch, aber so klein, dass sie aufrecht durch die Stollen gehen konnten, standen an einer Vorrichtung, die einem Seilzug nahekam. Sie unterhielten sich mit kräftiger Stimme und achteten nicht auf den Durchgang hinter ihnen. Erst als die drei Reisenden den Raum erreichten, wurden die Bergbewohner auf sie aufmerksam und schauten sie verwundert an. In ihren Händen hielten die kleinen Wesen scheinbar Werkzeuge.

Farai fasste Mut und sprach die beiden Kerle an, ohne zu wissen, ob sie ihn verstehen würden. „Wir haben Schutz vor dem Unwetter draußen gesucht und haben diesen Ganz gefunden, der uns tief in den Berg hinein führte. Nun sind wir auf euch getroffen.“, sagte er wahrheitsgemäß. Der Kerl mit dem dunkleren Bart nickte. Mit schwerem Akzent begann er zu reden: „In Ordnung. Ruht euch aus. Zieht weiter, wenn der Himmel wieder ruhig ist. Braucht ihr Hilfe?“ Seine schwerfällige, schnarrende Aussprache war nicht leicht zu verstehen, aber er sprach eindeutig die Sprache der Nomaden. Yalima schaute den Sprecher mit zusammengekniffenen Augen an. „Seid ihr jene, die wir Danamec nennen, die Leute im Berg?“, fragte sie. Der Bärtige nickte abermals, in seinem Gesicht zeigte sich ein breites Lächeln. Zu seinem Kameraden sagte er etwas in ihrer Sprache und beide lachten herzlich. „Ja, wir sind die Danamec. Nennt mich Hori. Können wir helfen?“, bestätigte er und bot seine Dienste nochmals an. Tapo war fasziniert von den kleinen dicken Leuten, die innerhalb der Berge zu leben schienen. Nie zuvor hatte er von ihnen gehört, ihre Hilfe nahm er aber gern an und beide begleiteten die drei Fremden zum Eingang der Mine, wo Ganeg mit den Tieren auf sie wartete. Er schaute recht verdutzt, als seine Freunde mit den Danamec erschienen. „Bei den Erdgeistern!“, rief er aus und verstummte abrupt.

„Eure Tiere bringt Nogil zum anderen Mineneingang, da ist mehr Platz für sie. Euer Gepäck wird hinunter gebracht. Ihr kommt mit mir, seid unsere Gäste.“, entschied Hori, der sich bemühte verständlich mit den Bahiq zu sprechen, auch wenn es ihm sichtlich schwerfiel. Für die vier Reisenden ging es mit dem Danamec zurück zu dem Raum, in dem aufeinandergetroffen waren.

 

11. Die Stadt unter dem Berg

 

An der mechanischen Vorrichtung war eine hölzerne Plattform befestigt. „Zu zweit setzen. Ich lasse euch runter. Dann absteigen und warten.“, instruierte er die Menschen und setzte die Winde in Bewegung. Für Tapo und Farai ging es zuerst abwärts, dann folgten Yalima und Ganeg. Der Einheimische folge zuletzt. Während die Menschen auf den kleineren Danamec warteten, schauten sie sich in der Höhle um, in die sie hinabgelassen worden waren. Sie staunten mit offenen Mündern und weiten Augen, über sie merkwürdige unterirdische Landschaft, die sich ihnen darbot.

Moose und Pilze wuchsen auf feuchtem Boden, Hauseingänge ragten aus dem sie umgebenden Fels heraus. Auf den Straßen der ungewöhnlichen Stadt tummelten sich unzählige Angehörige des kleinwüchsigen Volkes. Man hörte viele Stimmen und Arbeitsgeräusche, die nach Hammerschlägen klangen. Hori stieß zu den Reisenden und hieß sie willkommen: „In unserer Stadt könnt ihr ausruhen und eure Kleider trocknen. Eure Tiere sind versorgt.“ An seine seltsame Aussprache gewöhnten sich Tapo und die Bahiq langsam. „Danke für eure Gastfreundschaft. Wie kommt es, dass ihr unsere Sprache sprecht, Hori? Ihr Danamec kommt als gute Geister in unseren Sagen vor, ich hätte nie geahnt, dass es euch wirklich gibt.“, sprudelte es aus Yalima heraus. Hori stutzte und rang mit sich, wie viel er bereit wäre zu erzählen. „Wenn ihr euch umgezogen habt, bringe ich euch zum Rat. Die sieben Ältesten werden euch sagen, was ihr wissen müsst.“, entschied er und die Besucher waren einverstanden.

Das bärtige Wesen führte die Besucher die in den Stein gemeißelten Treppenstufen hinunter, welche die Gruppe den Behausungen näherbrachte. Die anderen Danamec schauten die Menschen neugierig an, die sich in ihren grünen und blauen Wickelgewändern mehr von den Einwohnern abhoben, als durch ihre Größe. Hori führte die Gäste zügig die Straßen entlang, zeigte mal rechts, mal links auf Gebäude und kommentierte kurz deren Funktion. „Schmiede. Tuchmacher. Gärtner. Schenke.“ Beim letzten Wort zeigte er auf den torähnlichen Eingang, der direkt vor ihnen lag und bat sie hinein. Der Raum war erheblich größer, als er von draußen angemutet hatte. Tische und Sitzbänke standen darin und es roch nach warmem Essen. Gegenüber des Eingangs gelangten sie über einen Treppenaufgang ins Obergeschoss. Auch hier war die Deckenhöhe großzügig bemessen, sodass die Reisenden stehen konnten, ohne sich den Kopf zu stoßen. Von einer Art Flur führten auf beiden Seiten Durchgänge in mehrere Zimmer. „Ihr könnt jeder für sich einen Raum haben oder euch die Zimmer teilen, wie ihr wollt. Platz ist genug. Eure Sachen sollten bereits hier sein und im ersten Raum liegen. Wenn ihr fertig seid, erwarte ich euch unten.“, erklärte der Danamec und ließ die Menschen allein.

Wie versprochen, fanden die Vier dort ihr vollständiges Gepäck. Mit ihren persönlichen Sachen teilten sie sich auf die anderen Zimmer auf und schälten sich aus den klammen Stoffbahnen. Tapo machte es sich einfach, da er nicht an die Kleidungsvorschriften der Bahiq gebunden war und verzichtete auf den Turban mit der Verschleierung. Die anderen drei standen kurz nach ihm, komplett in ihre traditionelle Tracht gehüllt, im Schankraum der Taverne. Hori wirkte erfreut, als alle beisammen waren. „Nun kommt, die Ratsleute warten.“, sagte er und bat die Gäste mit einer einladenden Geste nach draußen. Der breite Weg stieg leicht zu einer breiten, hohen Pforte hin an, die ihr Ziel war. Der Danamec bat die Besucher in das ausladende Gebäude hinein und brachte sie zu einem Saal, dessen Wände von Steinmetzen kunstvoll bearbeiten worden waren. Sie schienen eine Geschichte zu erzählen, die von den Elementargöttern handelte. Auf einem Podium, das den hinteren Teil des Saales einnahm, hatten sieben Einheimische mit langen Bärten ihre Plätze eingenommen, davor standen vier Stühle. Nacheinander verbeugten sich Farai, Yalima, Ganeg und Tapo vor den obersten Danamec.

„Setzt euch!“, donnerte der Mann in der Mitte den vier Fremden in der Sprache der Bahiq entgegen. Sie kamen der Aufforderung nach und warteten ab, was passieren würde. Etwas ruhiger stellte die ehrfurchtgebietende Erscheinung den Gästen sein Volk vor. „Nogil hat uns berichtet, dass ihr von weither aus der nördlichen Wüste zu uns kommt. Wir kennen euer Volk und eure Sprache, weil wir einst mit euren Ahnen Handel trieben. Für uns ist Zeit weniger von Bedeutung, als für die Menschen. Wir sind die Kinder des Erdriesen. Vor euch seht ihr den Rat der Sieben. Ich bin Rakmir, benannt nach einem unserer Ersten.“ Die Menschen deuteten im Sitzen eine Verbeugung an und stellten sich mit Namen vor, Tapo erzählte in verkürzter Form seine Geschichte und erklärte damit ihr Auftauchen in den Tunneln der Erdgeister.

Rakmir und die anderen Mitglieder des Rates lauschten den Ausführungen aufmerksam, dann berieten sie sich flüsternd, bis der Oberste das Wort wieder an die Reisenden richtete. „Ja, es stimmt, der Erdriese zog sich zurück, als der Herr des Feuers mit seinen Angriffen begann. Wir und die Erdgeister versuchten, den Menschen zu helfen, die durch seine Macht in Bedrängnis geraten waren. Dass er endgültig die Oberhand gewinnt, konnten wir einfach nicht zulassen, weshalb wir der Prinzessin der blauen Sande und Tayemma alle uns mögliche Unterstützung zukommen ließen. Befreien konnten wir die Prinzessin leider nicht. Die Mutter des Lebens war angeschlagen und erholte sich bei uns, nun sammelt sie ihre Kräfte und versucht unseren Herrn davon zu überzeugen, ihr aktiv beizustehen. Wir kennen den Ort, an dem die Prinzessin festgehalten wird und können euch in dessen Nähe bringen, sobald ihr bereit seid.“, teilte der Danamec sein Wissen mit seinen Gästen. „Doch heute sollt ihr euch ausruhen. Redet mir Hori, sobald ihr aufzubrechen gedenkt, damit wir alles in die Wege leiten können. Ihr könnt nun gehen, genießt euren Aufenthalt bei uns.“, verabschiedete er die Bahiq und Tapo, die von Hori zurück zur Schenke gebracht wurden.

Im Schankraum wurden die Reisenden von den Einheimischen mit Speis und Trank bewirtet. Sie unterhielten sich noch lange und zeigten sich beeindruckt von ihren Gastgebern. Müde und satt gingen sie später nach oben und fielen in die vorbereiteten Betten.

 

12. Die blauen Sande

 

In der Stadt der Danamec, die sich selbst Khazâd nannten, gab es keinen Wechsel zwischen Tag und Nacht wie an der Erdoberfläche, weshalb die Menschen etwas verwirrt waren, als sie ausgeruht erwachten. Yalima fand als erste den Weg hinunter in den Schankraum der Taverne, wo sie von den anwesenden Einheimischen herzlich mit einem Frühstück begrüßt wurde. Nach und nach fanden sich auch ihre Kameraden ein und nahmen ein kräftigendes Mahl zu sich. Nogil erschien und wartete geduldig, bis alle satt gegessen waren. „Kommt.“, sagte er und winkte ihnen, ihm zu folgen.

Der Zwerg ging mit den Menschen zur Ratshalle. Davor standen bereits Rakmir, Hori und einige andere der kleinen Leute. „Schön dass ihr hier seid. Wollt ihr noch verweilen, oder ziehen wir zu den blauen Sanden?“, fragte der oberste Ratsherr ohne Umschweife. Die Entscheidung darüber lag bei Tapo, der entschlossen erwiderte: „Wir wollen sobald wie möglich aufbrechen. Es sind bereits viele Tage ins Land gegangen, seitdem der Herr des Feuers die Prinzessin eingesperrt und ihre Leute getötet und vertrieben hat. Er wird auch in Zukunft keine Ruhe geben, bis er in seine Schranken verwiesen wurde.“ Die bärtigen Bewohner der Berge waren damit einverstanden. „Wenn ihr gepackt habt, bringen wir euer Gepäck zu den Bahnen, mit denen wir die Reisezeit verkürzen können.“, beschloss Rakmir. Tapos Gruppe ging zurück zu ihrer Unterkunft und packte die nötigsten Sachen, die sie am Körper tragen konnten. Hori und Nogil warteten, bis sie bereit waren und brachten sie zum verabredeten Treffpunkt.

Tapo und die Nomaden wunderten sich, dass sie keine Tiere sahen, mit dem Begriff „Bahn“ hatten sie nichts anzufangen gewusst. Vor den Anwesenden standen in einer steinernen Rinne mehrere Wagen hintereinander in einer Reihe, in denen Sitzbretter befestigt waren. Vierzehn Danamec, darunter auch jene, die die Reisenden bereits kannten, nahmen je zu viert in den Wagen Platz, die Menschen taten es ihnen nach. Mit klackernden, mechanischen Geräuschen setzte sich der Zug in Bewegung und nahm an Geschwindigkeit zu. „Kopf unten halten!“, rief Hori, der mit Tapo und Ganeg zusammen in einem Waggon saß. Dir Karren schepperten immer lauter, je schneller sie wurden. Die Bahiq hielten sich ängstlich mit den Händen die Häupter nach unten, während die Danamec ein fröhlich anmutendes Lied anstimmten, dessen Melodie den polternden Zug übertönte.

Vor einer Höhle, in der die Fahrrinne endete, verringerte sich das Tempo der Bahn und die Menschen atmeten erleichtert auf, als sie zum Stehen kam. Der Ort, den sie erreicht hatten, sah dem Startpunkt recht ähnlich, aber eine Treppe führte direkt vom Gleis aus nach oben. Auf scheinbar magische Weise schob sich ein Felsbrocken am Ende der Stufen beiseite und ließ frische kühle Luft in den Tunnel. An die flacher werdenden Felsen schloss sich eine steppenartige Ebene an, die vielerorts von weiß-blauem Schnee bedeckt war. Nur wenig Grün konnte sich in der Kälte behaupten.

„Hier beginnt der blaue Sand, die ewige Kälte, die Eiswüste, das Refugium der Prinzessin und ihres Volkes.“, erklärte Rakmir. Die Menschen hüllten sich, zusätzlich zu ihren gewickelten Gewändern, in die Fellkleider, um nicht zu sehr zu frieren. Die Zwerge schritten ortskundig voran und bildeten die Spitze der Gruppe. Hinter ihnen glitt schabend das Felsentor wieder zu, sie fügte sich nahtlos in das Gestein ein und wurde unsichtbar.

Der Wind pfiff rau über den Trupp hinweg und zerrte an jedem Einzelnen. Den Danamec schien dies nichts auszumachen, doch die Menschen fühlten sich etwas unwohl, murrten aber nicht und folgten den kleineren Wesen festen Schrittes. In der Ferne zeichneten sich bald dunkel Gebäude ab, auf die sie zu hielten. Schwarz und verbrannt lagen die Häuser aus Holz und Stein in Trümmern. In den Ruinen machten sie kurz halt, Hori ergriff die Gelegenheit und erklärte den Wüstenbewohnern, was geschehen war: „Ein gewaltiger Feuersturm fegte damals über das Land. Er hinterließ verbrannte Dörfer und Felder. Wer dieser Hölle entkommen konnte, floh nach Süden. Manchen konnten wir helfen, vielen leider nicht.“

Zu den Überlebenden dieses brutalen Angriffs zählten Puna und Yaya, das wusste Tapo. Nun müssten die nur noch zum Tempel der Prinzessin gelangen, um den scheinbaren Frieden als Lüge zu entlarven und den Mächten von Wind und Feuer entgegenzutreten.

 

13. Der Tempel des Feuers

 

Der schneidende Wind drehte, Asche und Staub wirbelten auf und Hitze schlug dem Erkundungstrupp aus Danamec und Menschen unvermittelt entgegen. Die breite Feuerschneise durchschnitt die Tundra. Auf ihrem Weg hatte sie verbrannte Natur und zerstörte Dörfer hinterlassen. Sie beschrieb eine großflächige Spirale, in deren Mittelpunkt es mit rotem Glühen brodelte. Stellenweise war der Boden aufgebrochen, flüssiges Gestein quoll aus den Rissen. Selbst die Danamec bekamen Mühe zu atmen, je näher die Gruppe dem Zentrum der Verwüstung kam. Die Hitze nahm so sehr zu, dass sie bald allen in den Lungen brannte. Am Rand des Schachtes, von dem die Feuerwalze ausgegangen war, hielten sie an und schauten prüfend in die Tiefe, die aus reinem Feuer zu bestehen schien.

Weit unter ihnen, inmitten der wirbelnden Flammen, konnte Rakmir eine Insel ausmachen, die eine Stufenpyramide trug. Tapos Erregung über die Entdeckung schürte seinen Eifer, denn er erkannte, dass er sein Ziel endlich real vor sich sah. Dort würden sie die Prinzessin finden. Die lange Reise hatte ein Ende gefunden, doch der gefährlichste Teil der Aufgabe stand ihm jetzt bevor. „Wie sollen wir dort hinunter kommen?“, fragte Ganeg, dem ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen, den Anführer der Zwerge. „Holz und Seile würden gleich verbrennen, Stein und Metall könnten diesem Schmelzofen auch nur kurze Zeit standhalten.“, überlegte der Ratsherr laut.

Etwas niedergeschlagen zogen sie sich zurück. Abseits des Flammenschlundes, zwischen den Ruinen einer Siedlung, ließen sie sich nieder, um sich zu beraten. Yalima hatte sich auch Gedanken gemacht, die sie mit den anderen teilte, sobald sie sich in Sicherheit gebracht hatten. „Ich werde Tayemma um Hilfe anrufen. Tapo und meine Stammesbrüder können mir dabei helfen. Ihr Danamec solltet versuchen, den Erdriesen zu überzeugen, seine passive Haltung in diesem Konflikt aufzugeben.“, brachte sie mit großer Entschlossenheit vor. Die Zwerge nickten und versprachen, ihr Möglichstes zu tun. Daraufhin machten sich Hori und ein weiterer Danamec auf den Rückweg in ihre Felsenstadt. Yalima zog einen kleinen zusammengerollten Teppich aus ihrem Gepäck und breitete in vor sich aus, dann kniete sie sich darauf hin, Farai und Ganeg taten es ihr gleich. Tapo setzte sich mit verschränkten Beinen auf den Boden. Die Bahiq füllten Kräuter in kleine Räuchergefäße und zündeten sie an, sodass kurz danach aromatischer Rauch die Luft erfüllte.

Yalima stimmte einen leisen Gesang ein, dem sich Ganeg und Farai anschlossen, Tapo schloss dabei die Augen und fokussierte seine Gedanken auf die Mutter des Lebens. Wie in einem seiner Träume erschien sie auch in seinen Gedanken, die Bahiq befanden sich bei ihm. Die sanfte Aura Tayemmas umhüllte die vier Menschen förmlich, als diese ihre Stimme in ihren Köpfen wahrnahmen. „Habt keine Angst, meine Kinder. Der Erdriese und ich stehen euch allen zur Seite. Habt Vertrauen. Die Danamec werden es erklären.“, flüsterte sie. Ihr Bild löste sich auf, doch ihre Präsenz war für Tapo und die Bahiq immer noch zu spüren. Sichtlich beruhigt nickte Yalima dem obersten Ratsherrn zu, der das positive Zeichen mit einem Lächeln quittierte.

Nach einigen Stunden kamen die ausgesandten Zwerge mit Verstärkung aus der Stadt zurück. „Die Priester haben den Schmiedevater erreicht. Es gibt einen Plan.“, berichtete Hori und übergab das Wort an einen, mit einer langen Kutte gekleideten Zwerg. „Unser Herr wird hohle Kugeln aus Stein formen, in die wir uns hineinbegeben werden. Tayemma wird den Innenraum weich polstern. Dann bringt der Erdriese uns zum Tempel hinunter. Die Atemluft wird knapp bemessen sein, aber ausreichen.“, erklärte er das Vorgehen. Ein anderer Kuttenträger ergänzte: „Wir sollten uns ausruhen, bis es losgeht. Unsere Ahnherren sind auf dem Weg hierher.“

Eine gewisse Spannung lag in der Luft, die man im gesamten Lager spüren konnte. Ihr Trupp war auf neunundvierzig Danamec angewachsen, die sich leise unterhielten und auf die Ankunft ihres Schöpfers warteten. Tayemma war im nahen Wald erschienen, der in ihrer Gegenwart an Lebenskraft gewann und in satterem Grün aufblühte, als hätte der Frühling Einzug gehalten. Bei jedem Schritt, den die Mutter des Lebens tat, sprossen aus der verbrannten Erde zu ihren Füßen saftiges Gras und bunte Blüten.

Wenig später grollte es von tief unter ihnen und die Erde bebte, als sich ein Koloss aus Stein und Erde ein gutes Stück südlich der Ruinen aus dem Untergrund schälte. Er hatte große Ähnlichkeit mit den Danamec und führte in der rechten Hand einen großen Hammer aus schwerem Metall. In langsamem Gang bewegte er sich auf das Lager zu, bis er eine Baumlänge vor Rakmir stehen blieb. „Beginnen wir.“, rumpelte der Riese mit tiefer Stimme.

 

14. Der Weg ins Innere

 

Je zu viert stellten sich die Danamec vor dem Erdriesen auf, der eine Gruppe nach der anderen mit einer Hohlkugel aus Stein und Erde umhüllte. Daneben wirkte die Mutter des Lebens ihre Naturmagie zum Schutz der Insassen. Zuletzt stand nur noch Tapo allein vor den göttlichen Wesen, der Schmiedevater setzte den jungen Mann auf seine Schulter, Tayemma sammelte mit einem magischen Netz die dreizehn Kugeln ein, dann traten sie an den Krater des Feuerschlundes, wo der Riese die bemannten Steine treffsicher in die Tiefe warf. Alle landeten genau auf der Insel, vor den Stufen des Tempels. Zuletzt nahmen der Erdriese und die Mutter des Lebens Tapo in ihre Mitte und sprangen gemeinsam in die Tiefe.

Die Hitze inmitten des kochenden Magmas machte das Atmen ohne die Hilfe der Ahnen für Menschen und Zwerge unmöglich, aber ihre göttlichen Begleiter schützten den Trupp mit all ihren Kräften, als der Tross die Stufenpyramide erklomm, in deren Spitze sich ein Zugang befand, der als Einstieg in einen abwärts führenden Tunnel diente. Wie von einem riesenhaften Wurm in das Gestein gefressen, wand sich die Röhre stetig tiefer. Die Luft kühlte allmählich ab, was das Atmen wieder erleichterte. Tayemma begleitete den Zug der Zwerge und gesellte sich zu den vier Menschen. Der Erdriese grub sich allein durch den Untergrund, abseits des verflüssigten Gesteinssees.

Der spiralförmige Gang endete abrupt in einer schwarz glasierten Sphäre von nur wenigen Schritt im Rund. Ein Ausgang war nicht zu erkennen, einzig ein würfelförmiges Objekt befand in der Mitte der Gesteinsblase. Als die Mutter des Lebens ihre Hände auf das Gebilde legte, um es zu untersuchen, begann das Vulkanglas mit violettem Schein zu pulsieren. Der Eingang der Kugel verkleinerte sich, bis er komplett verschlossen war, dann bewegte sich die Sphäre sanft aber merklich. Einige Zeit später setzte das Gebilde hart auf und klappte wie eine Blüte von oben her auseinander.

Tayemma, die Menschen und Danamec standen nun auf einer künstlich erschaffenen Plattform, die über den heiß brodelnden Magmaströmen aus dem Gestein ragte. Flache Stufen strebten einem breiten Tor im Fels entgegen, einen anderen Weg gab es nicht. Der Ahn der Zwerge brach mit einer schweren Erschütterung von oben aus der Höhlendecke. Gesteinsbrocken prasselten auf den Trupp herunter, als sich der Schmiedevater mit den Füßen voran aus dem von ihm erschaffenen Loch wand. Geschickt landete er auf dem nun freien Platz. „Einst hatten der Herr des Feuers und ich eine friedliche Zeit verbracht. Wir probierten uns aus, bauten Gebäude unter der Erde, erschufen Kreaturen, erforschten unsere Möglichkeiten. Er stellte bald fest, dass alles, was er in Angriff nahm, von den Flammen verzehrt wurde, schmolz oder durch die Hitze verdorrte. Außer einigen Elementarwesen gelang es ihm nicht ein Gefolge zu erschaffen. Voller Zorn und Neid zerstörte er, was ich zuvor erreicht hatte, dann verschwand er für lange Zeit. Ich wollte mich aus der Sache mit der Prinzessin heraushalten, aber ich muss versuchen, meinen ehemaligen Freund zur Vernunft zu bringen.“, sprach der Riese in traurigem Tonfall.

Rakmir nickte, woraufhin sich seine Leute auf dem Weg zum Tor machten. Tayemma und die Menschen blieben zurück und sprachen dem Schmiedevater gut zu. „Es ist nicht deine Schuld. Seine Natur unterscheidet sich sehr von deiner oder meiner. Doch dieser Planet kann nicht ohne ihn im Gleichgewicht existieren, es braucht uns alle fünf zusammen, damit der ewige Kreislauf aus Leben und Tod bestehen bleiben kann. Wird er durchbrochen, wird das Chaos alles verschlingen. Komm, finden wir die Prinzessin und bringen wir das Feuer zur Vernunft. Tapo wird es schaffen, wenn wir ihm die nötige Hilfe geben.“, versuchte die Mutter ihn zu motivieren. Der Erdriese schüttelte sich, wobei er Steine und Erdklumpen von sich abwarf und dabei zu menschlicher Größe schrumpfte. In sich zusammengesunken folgte die einem Danamec ähnelnde Gestalt Tayemma und den Menschen durch das Tor, welches die Zwerge bereits passiert hatten.

Flammen und Fontänen aus flüssigem Gestein schossen beiderseits des breiten Pfades aus poliertem Diorit in die Höhe, der das Innere des prächtigen Saales in zwei gleich große Lavaseen teilte. Der lange Steg verband den Halbbogen des Einganges mit einer kreisrunden massiven Steinfläche in der Mitte des Bauwerks, das ein wenig wie ein Amphitheater wirkte. Auf der anderen Seite des Saales zeigte sich ein ebensolcher Torbogen, durch den man das Theater wieder verlassen konnte. Das Rund in der Mitte fungierte als Bühne, eine Art umlaufende Kante, die den Feuersee begrenzte, hätte man als Zuschauerrang sehen können. Wie eine glatte Kuppel wölbte sich die Decke über die Wesen, die sich auf der Bühnenplattform sammelten. Die Danamec staunten sichtlich, als sie ihren geschrumpften Ahnherrn erkannten.

Erst nur leise, wie gehaucht, dann ein zögerliches Pfeifen, kroch kaum bemerkbar der Wind in die Halle hinein. Kaum hatte der Lufthauch Tapo erreicht, schreckte dieser auf und ermahnte die anderen zur Vorsicht. Keinen Moment zu spät legten sich Menschen, Zwerge und die Ahnen flach auf den hellen Dioritboden des Theaters, als ein Wirbelsturm sie erreichte, der beim Überqueren des Steges heiße Tropfen mit sich zog und durch die Luft schleuderte. Die Windhose gewann an Kraft und Tempo, zog über die ungebetenen Besucher mit voller Wucht hinweg. Im stillen Auge des Tornados sprach eine flüsternde Stimme zu ihnen: „Euer Weg war umsonst. Das Feuer wird alles mit sich nehmen. Niemand kann euch retten und die Prinzessin werdet ihr nie erreichen. Es sei denn, ich würde euch helfen.“

Der letzte Satz kam unerwartet und machte die Eindringlinge stutzig. Tapo stand auf und richtete seinen Blick hinauf in das Auge des Sturms. „Das Gleichgewicht dieser Welt muss wiederhergestellt werden, deshalb bin ich hier. Ich habe versprochen, die Prinzessin der blauen Sande zu befreien und werde alles tun, um dies zu erreichen!“, rief er dem Gebilde ohne feste Form entgegen. „Das wollte ich hören.“, ließ der Wind vernehmen und seine Intensität nahm ab.

 

15. Sturm der Elemente

 

Nur ein warmer Hauch und eine schemenhaft menschlich wirkende Wolke blieben von dem zerstörerischen Tornado übrig. Tapo erschrak, als die säuselnde Fistelstimme erneut einsetzte. „Ich kenne dich Fischer. Ohne mich hättest du die Insel nicht gefunden und diese Reise nie begonnen. Hätte ich den Nebel nicht hinweggefegt, würdest du immer noch jeden Tag auf deinem Kahn herumdümpeln.“, sprach sie etwas spöttisch und selbstgerecht. Tapo dachte nach. Sein Besuch auf der Insel war keine Überraschung für Yaya und ihre Leute gewesen, sie hatten ihn erwartet. Hatte der Wind es ihnen geflüstert?

„Kommt, ich zeige euch, wohin der Herr des Feuers die Prinzessin verschleppt hat. Allein ist es mir unmöglich, sie zu befreien, nur ein Mensch, der an sie glaubt, kann das schaffen.“, lockte der Schemen die Menschen. Tayemma und der Steinvater stellten sich schützend vor die Sterblichen und wandten sich an den Windgeist. „Deinen Launen geben wir nicht nach, auch wenn du Gründe für dein Vorgehen hast. Du hattest uns den Rücken zugekehrt und dem Feuer dabei geholfen, die Prinzessin einzusperren. Nun willst du helfen? Wie können wir dir noch trauen?“, stellte die Mutter des Lebens das andere göttliche Wesen zur Rede.

Zischend schrumpfte die Wolke, klimpernd fiel dabei eine Art weißer Kern auf den hellen Steinboden. Seufzend und leise, mit weinerlichem Ton flüsterte der Windgeist: „Ich hatte mich dem Feuerherrn angeschlossen, um euch den Weg zu ebnen, wenn es an der Zeit ist, die Befreiung der Prinzessin anzugehen. Er sollte keinen Verdacht schöpfen und sich sicher fühlen. So gingen viele Sonnenläufe ins Land, ehe ich alles in die Wege leiten konnte. Die Erdelementare halfen mir, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Nun seid ihr hier.“ Alle Blicke richteten sich auf den Ahnen der Danamec, nachdem alle vernommen hatten, was der Windgeist erzählt hatte. Der Steinvater wirkte ertappt und beschämt als er auf die stummen Fragen eine Antwort suchte. „Ja, ich hatte mich zurückgezogen, um ihm zu helfen, gegen den Feuerlord vorzugehen. Es sollte möglichst unbemerkt vonstattengehen, deshalb machte ich mich rar. Also schickte ich meine Boten zur Insel, als ich das Zeichen bekam, dass der Auserwählte sie erreicht hatte.“, gab der verkleinerte Erdriese geknickt zu. Die Zwerge nickten, die Menschen erhoben in verzeihender Geste ihre Hände, nur Tayemma schaute beide anderen Elementarherren mit sehr ernstem Blick an. Mit gespielt erboster Stimme wetterte sie: „Ihr Geheimniskrämer, ihr hättet mich einweihen sollen. Ach was soll es, retten wir endlich die Prinzessin!“

Bedächtig erhob sich der Kern des Windwesens wieder in die Höhe und die Luft geriet erneut in Bewegung, aber nur ein warmer Hauch umspielte die Anwesenden, der sie sanft auf die andere Seite des Amphitheaters zog. Tapo, der Steinvater und die Mutter des Lebens folgten dem Luftzug mit zügigen Schritten, hinter ihnen reihten sich erst die drei Bahiq und dahinter die sieben Siebenschaften der Danamec ein. Wie auf eine Schnur gefädelt zogen sie über das Dioritpflaster durch das Tor.

Die Farbe des Gesteins wechselte zu dunkleren Tönen, auch die Architektur wirkte weniger filigran, sondern eher rustikal und bedrohlich, denn kaum hatten sie das Amphitheater hinter sich gelassen, durchquerten sie einen düsteren Tunnel mit schroffen Wänden. Nur unscheinbar glitzerte feiner Glimmer als schwaches Spiegelbild der nun fernen Feuerfontänen, das immer mehr verblasste. Den Zwergen machte die Dunkelheit nicht viel aus, doch die Bahiq fühlten sich unwohl so tief unter der Erde. Ganeg zerriss der Ärmel seines Gewandes, als er an die scharfen Kanten der Tunnelwand stieß. Yalima und Farai stolperten mehr voran, denn zügig zu gehen war ihnen nicht möglich. Die Götterwesen drängten gemeinsam mit Tapo durch den Gang, dessen Ende nicht mehr weit entfernt zu sein schien, denn kühle Luft und graublaues Licht kündigten neues Terrain an.

Der natürlich wirkende Tunnel endete abrupt, erschrocken hielten die Anführer inne und betrachteten, was sich ihnen darbot. Umgeben von einer umschließenden Felswand, die glatt und unüberwindbar anmutete, stand eine graue Stufenpyramide auf einer glatten Fläche aus hellem Blau. War es Wasser oder Eis? Denn kalt und hart blies der Wind Tapo und allen anderen in die Gesichter. „Der Tempel der blauen Sande. Der Feuerlord hat ihn von der Welt getrennt und versiegelt. Die Prinzessin lebt darin und kann ihn nicht verlassen.“, erklärte pfeifend der Windgeist. Farai machte vorsichtig einen Schritt aus dem Gang heraus auf die weiß-blaue Fläche, wobei es unter seinen Füßen leise knisterte. Irritiert zog er sich wieder zurück.

Tapo, der in Gedanken versunken gewesen war, wendete sich an den Steinvater: „Ist es dir möglich, eine Brücke bis zu dem Tempel zu spannen?“ Der Gebieter von Stein und Erde nickte, konzentrierte sich. Blöcke lösten sich aus der Felswand, klatschten und krachten vor dem Tunnel in das von Eis bedeckte Wasser und formten einen Weg hin zu der Stufenpyramide. Aus dem Himmel schossen plötzlich Feuerkugeln auf die Eisfläche und auf den entstehenden Pfad. Der Windgeist versuchte die Lavabrocken hinfort zu schleudern, konnte aber nicht alle abwehren. Ein kehliges Lachen ertönte, das den gesamten Talkessel erfüllte. „Ihr seid hier. Brüder, Schwester und eure Kinder. Willkommen zum Familientreffen. Ich sperre euch in die Pyramide, zur Prinzessin, dann kann ich diese Welt endlich von euren Spuren säubern.“, hallte eine hämische Stimme durch die Luft. Der Feuerlord stand einer brennenden Statue gleich oben auf dem Felsring und schaute spöttisch auf die Eindringlinge herab.

Felsbrocken, die der Steinvater zum Bau des Weges hatte nutzen wollen, flogen unvermittelt in die Richtung des lodernden Schemens. Der Windgeist verstärkte ihre Wucht, als er verstand, was der Erdriese vorhatte. Tayemma rannte mit Tapo über die verbliebenen Steine, den Rest des Weges bis zu den untersten Stufen des Gebäudes schob sie den Mann mit kräftigen Ranken, die ihren Armen entwuchsen, über das eisige Nass. Dann half sie ihren Brüdern, indem sie mit ihren Füßen das Wasser unter ihr einsog und aus den blühenden Ranken heraus auf die feurige Gestalt spritzte. Das Wasser verdampfte sofort, aber die Intensität der Flammen nahm langsam ab. Gemeinsam zwangen sie den Feuerlord in die Knie, der sich des Angriffes bald nicht mehr erwehren konnte.

 

16. Das Gleichgewicht der Welt

 

Darauf schien der Elementargott des Feuers nicht vorbereitet gewesen zu sein, denn seine Flammen loderten nicht mehr, sondern verloschen zischend. Selbst die rote Glut glomm immer schwächer, je länger der Angriff der anderen drei Gottheiten anhielt. Der verkohlte Schemen sackte in sich zusammen, als kaum noch ein Glühen unter der schwarzen Kruste auszumachen war. Um den besiegten Gott herum waberte heißer Dampf.

Tapo hatte die Zeit während des ungleichen Kampfes genutzt und nach einem Zugang in das Innere des Tempels gesucht. Zuoberst krönte ein Podest die hellgraue Stufenpyramide, die der junge Mann mühsam erklomm, denn die Quader waren beinahe so groß wie er selbst. Nachdem er diese Anstrengung überwunden hatte, ließ er sich im Schneidersitz auf der schmalen Plattform nieder, wobei er die Augen schloss und intensiv an die Prinzessin der blauen Sande dachte. Kaum hatte er sich seinen Wünschen und Gedanken hingegeben, spürte er die unmittelbare Nähe der eingesperrten Göttin des Wassers. „Öffne das Tor, Tapo. Nur dir ist es möglich, meiner Gefangenschaft ein Ende zu setzen.“, ertönte ermutigend die sanfte Stimme der Prinzessin in seinen Gedanken. Wie in einem Traum formten sich Bilder vor dem inneren Auge des Fischers. Ein doppelflügeliges Tor, bestehend aus Eis und hellem Gestein, verschlossen durch ein brennendes, schwelendes Siegel, erschien vor ihm mitten in der unüberwindbaren Felswand, die den Tempel umschloss. Traum und Realität schienen sich in Tapos Kopf zu vermischen, sodass er es ihm nicht mehr möglich es unterscheiden.

Von dem Podest an der Spitze der Pyramide aus führte nun ein gerader Weg hinab in den Talkessel, genau auf das Tor zu. Die Konturen des feurigen Symbols verschwammen vor Tapos Augen, die immense Hitze spürte er brennend in seinem unterkühlten Gesicht. Allen Mut nahm er zusammen, streckte seine beiden Hände nach vorn aus und drückte mit ganzer Kraft gegen die massiven Torflügel, doch sie gaben nicht nach. Seine Gedanken waren immer noch ganz nah bei der Prinzessin, die ihn weiterhin anspornte, sein Bestes zu geben.

Beseelt von den Worten seiner Göttin legte Tapo die Hände auf das brennende Siegel. Sogleich begann es an seinen Fingern und den Handflächen zu dampfen, doch Schmerz verspürte der Fischer nicht. Wie zum Ende des Kampfes der Elementargötter, ließ auch hier die Intensität des Feuers immer weiter nach, bis das verkohlte Emblem vom Tor abbröckelte und nur ein Häuflein Asche übrig ließ. Nun ließen sie die Flügel leicht aufschieben und der Weg in den Tempel der blauen Sande war frei.

Die jugendlich wirkende Prinzessin schritt ihrem Retter würdevoll entgegen, der sich überwältigt in dem Palast aus Wasser, Eis und Schnee umsah, den er gerade betreten hatte. „Willkommen, Tapo. Du hast das Siegel gelöst, das mich gefangen hielt. Ich wusste, dass du es schaffen würdest.“, begrüßte sie den weit gereisten Helden. Gemeinsam gingen sie Hand in Hand nach draußen, wo die anderen Götter, die Bahiq und die Danamec bereits warteten. Der geschlagene Feuerlord kniete zusammengesunken zwischen Tayemma und dem Steinvater, der Windgeist hatte sich hinter ihm postiert. Mit einem sanften Lächeln trat die Prinzessin an die ungleiche Gruppe heran und sprach: „Lange durfte ich nicht mehr meinen Tempel verlassen. Mein Volk begann mich zu vergessen. Dein Neid blendete dich, Bruder, doch ohne dich kann diese Welt nicht existieren. Wenn du dich erholt hast, wird das Gleichgewicht der Elemente wiederhergestellt sein. Als Strafe für deine Untat sollst du ebenso lange, wie ich eingesperrt gewesen bin, deine eigenen Gefilde nicht verlassen dürfen.“

Der Feuerlord beugte sich ächzend seinem Schicksal und die anderen Elementargötter begrüßten das Urteil der Befreiten. Unter der Aufsicht des Erdriesen brachten einige Zwerge den Feuerlord fort, zurück in die Magmatiefen.

Nun galt es noch das Volk der Prinzessin wieder zusammenzuführen. Yaya und Puna waren schon so lange von einander getrennt, dass es Zeit wurde, sie zu vereinen. Während die Gottheiten Rat halten würden, sollte Tapo mit den drei Bahiq die Rückreise antreten und allen von der glücklichen Wendung berichten. Der Segen der Elementare sollte ihnen auf dem Weg begleiten und die Reise ohne größere Mühen bewältigen lassen.

Der Windgeist gab ihnen Schnelligkeit, Tayemma stärkte ihre Ausdauer, der Steinvater schenkte ihnen zusätzliche Körperkraft und die Prinzessin schenkte jedem einen sich nie leerenden Wasserschlauch.

Nachdem die Menschen mit den Danamec in die Stadt im Berg zurückgekehrt waren, wurden sie noch mit allerlei Proviant ausgestattet. Als sie sich dann von den kleineren Wesen verabschiedet hatten, beluden sie ihre Tiere und machten sich auf den Weg. Hori, Rakmir und Nogil winkten ihnen am Mineneingang hinterher.

 

17. Wieder vereint

 

Wie erwartet gestaltete sich der Rückweg entlang des Gebirgszuges einfacher für die Vierergruppe. Nun folgten sie dem von Bäumen gesäumten Bach abwärts in den großen Wald hinein bis zum Holzfällerdorf. In der Schenke machten sie Halt und übermittelten den Menschen die Neuigkeiten. Über Nacht rasteten sie in der Nähe der rustikalen Blockhütten, ehe sie bei Sonnenaufgang ihre Kamele und Pferde wieder beluden und die Reise fortsetzten.

Das Wetter blieb abgesehen vom Morgendunst recht trocken und schien den Reisenden wohlgesonnen. In den nördlicheren Gefilden war der Winter nicht mehr weit und das Laub der Bäume hatte in dieser Gegend bereits vielfältige Färbungen angenommen. Zügig kamen sie zu Fuß durch den Wald, die Reittiere führten sie an den Zügeln. Ganeg zeigte sich gut gelaunt und sang mit Yalima fröhliche Lieder von Sonne und Leben. Auch Farai stimmte hin und wieder in den Gesang ein. Tapo, der die Lieder nicht kannte, erfreute sich dennoch an den Melodien.

Zum Abend erreichten sie in bester Wanderlaune die Kommune Kapan und suchten sofort Puna auf, die sie lächelnd empfing. „Die Prinzessin ist zurück, sei gepriesen Tapo!“, rief sie ihm entgegen. An die Wüstenreiter gewandt deutete sie eine Verbeugung an und sprach: „Euch danke ich dafür, dass ihr stets an seiner Seite wart, werte Bahiq. Seid für den Rest des Tages unsere Gäste.“ Bald füllte sich der zentrale Platz der Kommune mit Menschen, die Krüge mit Getränken und Platten voll mit Speisen herantrugen. Zum Sitzen gab es einfache Holzbänke und weiche Teppiche. Fröhliches Gemurmel bestimmte die Atmosphäre des spontanen Festes zu Ehren des Günstlings der Prinzessin.

Tapo und die Bahiq saßen mit Puna zusammen und erzählten davon, was sich zugetragen hatte. Die Mithilfe der drei Gottheiten imponierte der alten Frau besonders. „Es wird noch einige Tage dauern, ehe wir die Insel erreichen, um Yaya zu treffen. Wir werden uns etwas einfallen lassen, wie wir euch wieder zusammenbringen, wenn wir dort sind. Womöglich bekommen wir Hilfe.“, sprach Yalima ihre Gedanken dahingehend aus. Puna nickte mit tränenbenetzten Augen. „Ich würde mich sehr freuen, meine Schwester wieder in die Arme nehmen zu können.“, schluchzte sie mit freudig vibrierender Stimme.

Bis tief in die Nacht feierten die Bewohner Kapans mit den Reisenden, die diesmal in einem der Häuser Quartier bezogen hatten, statt ihr Zelt aufzubauen. Es war um die Mittagszeit, als sie gen Süden aufbrachen, den Tafelbergen entgegen.

Jede Etappe, die ihnen auf dem Weg nach Norden mehrere Tage gekostet hatte, legten die vier Reiter nun innerhalb eines Sonnenlaufes zurück. Der Segen der Gottheiten schien sich auf ihre Tiere übertragen zu haben, denn auch sie wirkten stärker und ausdauernder als zuvor. Bis sie in der großen Felsenstadt am Rande der Wüste ankamen, waren sie zwei halbe Tage unterwegs, denn sie wollten es vermeiden des Nachts unterwegs zu sein. Die Laune der Wachen schien sich seit ihrem letzten Besuch erheblich verbessert zu haben, denn obwohl sie am Nordtor angehalten wurden, scherzten die Stadtbediensteten, was man von ihnen vorher nicht gewohnt gewesen war. Von den anderen Bahiq fehlte in der Felsenstadt aber jede Spur, die Markthändler wussten nur, dass sie wieder westwärts, in die Wüste hinein, gezogen waren. Am nächsten Tag wollten die vier Reisenden ihren Freunden und Verwandten folgen und sich auf den Weg zur Oase Darfa machen.

Noch bevor sie zum dem von Palmen umstandenen See mitten in der Wüste gelangten, hatten Tapo und seine Begleiter den Stamm Häuptling Zelags gefunden, dessen Karawane ihnen von Westen entgegenkam. Gemeinsam setzten sie ihren Weg in das Hauptlager der Bahiq fort. Zu ihrer Überraschung wurden sie in Darfa von Tayemma erwartet, der sie alle mit einem Kniefall huldigten. Gemeinsam mit dem Windgeist legte die Naturgöttin die versunkene Stadt der Nomaden frei, die sie mit einer magischen Barriere vor einer erneuten Zerstörung schützte. Anlässlich der Rückkehr ihrer Stammmutter veranstalteten die Bahiq ein großes Fest, das drei Tage lang andauerte.

Bald drängte Tapo aber weiter, um sein Versprechen gegenüber Yaya und der Prinzessin einzulösen. Seine drei lieb gewonnenen Freunde begleiteten ihn auch weiterhin und wichen nicht von seiner Seite. Nach dem großen Fest der Wiederauferstehung der Stadt Darfa zogen sie erneut los und reisten nach Süden, wo die Savanne die Wüste ablöste. Hinter den Roten Bergen folgten sie dem Fluss bis zum Meer hinunter. Einige Tage später kamen sie in Tapos Heimatdorf an, wo sie aufgrund ihrer ungewöhnlichen Kleidung auf Zurückhaltung stießen. Erst als der Fischer sich zu erkennen gab, wurden die Neuankömmlinge offener begrüßt. Tapos Mutter schloss ihn fest in die Arme, ebenso taten es seine Geschwister, nur sein Vater wendete sich mürrisch ab.

Beim Essen erzählte Tapo den Dorfbewohnern die Geschichte seiner Reise, die mit großem Erstaunen kommentiert wurde. Als er zum Ende kam, berichtete sein Bruder davon, dass seit Kurzem der Fischfang wieder besser lief und man das Dorf wieder gut ernähren konnte.

Am nächsten Morgen machte der junge Fischer ein Boot bereit, mit dem er und seine Freunde zur Insel segeln wollten, um Yaya und ihre Leute zu besuchen. Zu Tapos Freude war sie schon vom Strand aus zu sehen. Der verhüllende Nebel war verschwunden und die aufgehende Sonne beschien das felsige Eiland. Schnell stiegen Tapo und die Bahiq in das Boot und setzten über.

Auf dem Platz zwischen den Strohhütten herrschte reges Treiben. Yaya winkte den Besuchern, als sie das Rund des Dorfes betraten. „Das Glück ist zurückgekehrt. Dank dir Tapo.“, freute sich die alte Frau. Tapo entgegnete: „Wir sind gekommen, um dich mit Puna zusammenzubringen und euer Volk wieder nach Hause zu bringen, wenn ihr das wollt. Ihr könnt das natürlich frei entscheiden. Aber zuerst lasst uns die Prinzessin rufen!“

Puna und Tapo setzten sich gegenüber in den Sand. Alle anderen Inselbewohner nahmen um sie herum Platz. Gemeinsam stimmten sie einen Singsang an, den Yaya führte, doch Tapo sah die jugendliche Prinzessin der blauen Sande als einziger deutlich vor sich. „Komm zu uns, Prinzessin, deine Leute vermissen dich.“, bat Tapo und ein weiteres Mal verschwammen Traum und Realität ineinander. Die Prinzessin trat aus dem Tor ihres Tempels und erschien inmitten der Leute auf dem kleinen Dorfplatz. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, die sich von ihrer blassen Haut abhoben. Ihre Stimme fand ihren Weg in die Gedanken jedes anwesenden Menschen. „Ihr müsst nicht zurück in das Eismeer kommen, doch hinterlasse ich euch hier die Möglichkeit, die Welt zu bereisen, wo immer ihr auch hingehen mögt. Stellt euch einfach auf die Plattform und stellt euch den Ort vor, den ihr besuchen wollt. Am Ziel entsteht ein gleichartiges Podest, mit dem ihr wieder heimkehren könnt.“, erklärte sie und stieg von der kreisförmigen Platte, die bei ihrer Ankunft materialisiert war. Dann forderte sie die Dorfälteste auf: „Yaya, gehen wir deine Schwester besuchen.“

Gemeinsam mit der göttlichen Erscheinung betrat die alte Frau mit Tränen des Glücks in den Augen die Steinplatte, dann verschwand sie in bläulich schimmerndem Licht.

 

- Ende -

 

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