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59. Sanftes Glühen

Eine Zwergin mit grauem Teint und dunklen, leicht glühenden Augen und wallendem dunklen Haar. Sie trägt eine rote Robe, die mit hellen Runen bestickt ist. Erstellt mit ChatGPT.
Die Gelehrte Harsabna aus den Feuerhöhlen. (KI-generiert)

Es herrschte Stille, nur das ruhige Atmen von neun Zwergen erfüllte den Raum. Jeder von uns ging eigenen Gedanken nach; liegend, sitzend. Meiner Feldflasche rang ich die letzten Tropfen des Wassers aus Amon Calen ab und füllte sie an der Rinne, die in der Wand eingelassen war, wieder auf. Was würde Linnarhan wohl gerade tun? Ich vermisste meine Ehefrau, hätte ihre Einfühlsamkeit in dieser Situation gut gebrauchen können. Ihre Entscheidung, nicht mit uns zu reisen, konnte ich gut verstehen, denn für ihre Sicherheit hätte ich nicht garantieren können. Wie die Feuerzwerge zu den Elfen standen, wusste ich auch in jenem Moment noch nicht.

Ich bewertete die ersten Gespräche mit unseren unfreiwilligen Gastgebern als fruchtbar, denn wir wurden noch nicht abgewiesen. Womöglich hatten wir uns nun einen gewissen Respekt bei ihnen erarbeiten können, echtes Vertrauen zu erlangen, war aber noch ein weiter Weg.

 

In einer der erhöhten Schlafnischen regte sich Pelok und streckte seinen Kopf heraus. „Ich finde, wir haben uns bisher ganz gut geschlagen. Die Köpfe sitzen immer noch auf unseren Schultern. Was mich erschüttert, ist die Geschichte der Feuerzwerge, die ihren immensen Groll verständlich macht.“, sprach er mir aus dem Herzen. Zustimmendes Raunen erklang und Gimal, der mit dem Rücken zur Tischplatte auf der Steinbank saß, meinte: „Die Isolation ihrer Gilde in Takal Dûm war eine Folge der Unterdrückung durch den Großen Rat. Als einfacher Zwerg hatte man davon nichts wahrgenommen. Ich finde es nur logisch, sich erneut abzukapseln, denn hier in der Isolation konnten sie sich frei entfalten, ohne bevormundet zu werden oder Rechenschaft ablegen zu müssen. Sie nahmen sogar dem Clan fremde Zwerge auf, die sich integrieren wollten, wie wir an Harsabnas Linie erkennen können. Sie sind vernünftiger, als es auf dem ersten Blick den Anschein hat.“ Mit seinen Worten hatte er die Natur der Feuerzwerge gut wiedergegeben.

Wieder legte sich bedächtiges Schweigen über uns. Bald begann jemand zu schnarchen und ich legte mich auf eine der Pritschen, wo ich in einen unruhigen, wenig erholsamen Schlaf fiel.

 

Woran in diesen Höhlen mit dem ewig gleichen feurigen Schein die Zeit gemessen wurde, wusste ich nicht, doch ein festes Klopfen an der Tür ließ mich aufschrecken. Rybor trat ein und beendete unsere Ruhephase etwas ruppig. „Steht auf Khazâd! Zeit für das Frühstück!“, rief er in das Zimmer hinein. Ich glaubte in seiner Stimme Belustigung zu erkennen. Mein müder Blick auf ihn bestätigte die Annahme, er grinste und rief noch einmal: „Los nun, nur euretwegen stellen wir nicht unseren Tagesablauf auf den Kopf!“ Ich erhob mich aus dem hölzernen Bett und grüßte mit einem Handzeichen den Soldaten, dann wandte ich mich an meine Kameraden. „Kommt schon, ich weiß die Nacht war kurz. Machen wir uns frisch und folgen danach Kommandant Rybor. Er hat ja Recht.“, versuchte ich die Gruppe zu motivieren und begab mich selbst an die Wasserrinne. Er nickte mir anerkennend zu, verließ die Stube und wartete im Gang auf uns.

Wir waren keine trainierten Soldaten, aber jeder gab sein Bestes, um die Müdigkeit abzuschütteln. Nach wenigen Minuten versammelten wir uns im Flur vor Rybor, der uns ohne weitere Wache durch die Kaserne führte.

 

Der Innenhof war diesmal wie leergefegt, als wir ihn überquerten und in den Komplex gegenüber der Unterkünfte eintraten. Leises Klappern von Besteck und Geschirr hallte durch den Speisesaal, in dem die Streiter der Feuerzwerge ihr Frühstück einnahmen. Mit unserem Eintreten wurde es schlagartig still und die Augen aller Soldaten richteten sich auf uns. Im Gegensatz zu den uniformierten, grauhäutigen Einheimischen mussten wir in der Tat wie ein bunter Haufen auf sie wirken. Unsere Unterschiedlichkeit war schon äußerlich unbestreitbar. Der Kommandant stellte sich vor uns auf und richtete sich an seine Untergebenen. „Diese Zwerge, Angehörige der anderen Clans, sind unsere Gäste. Sie haben ihre Ehrenhaftigkeit gegenüber unserem König bewiesen. Heißt sie willkommen!“, teilte er den Anwesenden mit, die teils mürrisch, teils neugierig zu uns schauten. Rybor brachte uns an einen Tisch, an dem eine Bank frei geblieben war und wir nahmen gemeinsam Platz. In allen möglichen Nuancen von Rot glühten uns Augenpaare entgegen. Die Zwerge, die vor uns an derselben Tafel saßen, versteckten ihre Neugier nicht, sondern musterten Zwerg für Zwerg unsere Gruppe.

 

Ein knappes Nicken von Rybor bewegte einen der Soldaten, die bei uns am Tisch aßen, dazu, das Wort an uns zu richten. „Da drüben ist die Essensausgabe, dort könnt ihr euer Frühstück abholen.“, nuschelte er und wies mit einem Fingerzeig auf die lange Seite des Speisesaales. Mit einem Nicken bedankte ich mich bei ihm. Nacheinander gingen wir zum Tresen und jeder nahm von den Köchen eine dampfende Schüssel entgegen und würdigte ihre Arbeit mit einem Wort oder einer Geste.

Der warme Brei füllte nicht nur meinen Bauch, sondern schmeckte auch ganz gut nach Hafer und Frucht. Als ich meine Schale geleert hatte, fragte ich einen der Männer vor mir: „Wie könnt ihr Getreide und Obst essen, obwohl ihr in einer Höhle lebt? Das Tageslicht, das diese Pflanzen zum Wachsen und Reifen benötigen, ist fern.“ Verwirrt blickte mich der Soldat mit den kurz geschnittenen Haaren und dem getrimmten Bart an, ehe er antwortete. „Die Felder werden künstlich beleuchtet. Wie das genau geht, wissen die Bauern besser.“, meinte er knapp und widmete sich wieder seiner Mahlzeit. Auch seine Aussprache hatte sich für mich undeutlich angehört. Der Kommandant war bei uns geblieben und er schien nachzudenken, als ich zu ihm herüber sah.

 

„Wenn ihr soweit seid, gehen wir zur Gelehrten Harsabna. Nach dem Mittagessen soll die große Audienz im Thronsaal stattfinden.“, teilte Rybor uns den Tagesplan mit. Wenig ermunternd fügte er an: „In den oberen Kammern gab es bereits hitzige Gespräche zwischen dem König und seinen Beratern. Ich bin gespannt, was heute noch geschehen wird.“ Er wartete ab, bis wir das Geschirr zum Tresen gebracht hatten, dann führte er uns aus der Festung heraus.

 

Wir folgten staunend dem Weg, der um die Wehranlage herum angelegt war. Auf der Rückseite, hinter dem Regierungstrakt, spannte sich eine treppenartige Brücke über den Feuersee, welche die Insel mit der Stadt verband. Rybor ging voran und führte uns auf die andere Seite, wo sich entlang der Höhlenwand eine gepflasterte Straße anschloss. Mit Bildhauereien verzierte Türbögen schmückten die Eingänge der Tunnel, die in den Fels hineinragten. Das Schlagen von Schmiedehämmern und das Schaben von Meißeln bestimmte die Geräuschkulisse, während wir neugierig blickende Zwerge passierten. An einem der Zugänge machte Rybor halt. Eingravierte Bildelemente von Schreibwerkzeugen und einzelne Runen schmückten den Bogen des kurzen Tunnels, der uns in eine gemütliche Schreibstube brachte. Steintafeln füllten die Regale in den Wänden. Auf einem Pult aus Granit lagen ein kleiner spitzer Meißel und ein dazu passender Hammer. In der Mitte des runden Raumes blubberte flüssiges Gestein in feurig-rotem Glanz vor sich hin. Eine vertraute Gestalt, die lesend vor einem der Regale stand, hatte uns bemerkt und löste sich von ihrer Lektüre, als wir eintraten.

 

„Ihr seid endlich hier, schön.“, begrüßte Harsabna uns mit einem Lächeln und lud uns ein: „Nehmt im Feuerkreis Platz, dann erzähle ich mehr über den Clan der Feuerzwerge. Ihr habt gestern gezeigt, dass ihr zuhören könnt und wissbegierig seid.“ Wir verteilten uns um die Feuerstelle herum und machten es uns bequem. Rybor verließ die kleine Höhle nach einer lautlosen Verabschiedung.

Die Gelehrte trug ein weites Kleid aus braunem Stoff, Kragen und Säume trugen ein hell abgesetztes Muster aus klaren Linien. „Nachdem ich gestern die Geschichte der Feuerzwerge nur grob umreißen konnte, möchte ich euch heute einige für uns wichtige Ereignisse näher erörtern.“, teilte sie im Ton einer Lehrerin mit. Gespannt spitzten wir die Ohren und lauschten der sanften Stimme Harsabnas.

 

„Während Suraz in Begleitung einiger Getreuer mit den Norskmen über das nördliche Meer segelte, blieben Tyron und die verbliebenen Ratsherren der Feuerlenker mit dem Großteil des Clans in der Nähe der Erzformer, die begannen, einen geeigneten Platz für eine dauerhafte Ansiedlung zu suchen. Die Kunde von einer entfernten Feuerinsel hatte sich innerhalb der Gilde schnell verbreitet und die Vorfreude darauf, bald eine eigene Stadt zu gründen, war groß. Als ein Bote der Expedition nach mehr als einem Jahr die Feuerlenker aufsuchte und den Anführern von den Entdeckungen berichtete, rief man nach den Steinformern und die ersten Tunnelgräber begannen daraufhin mit ihrer Arbeit. Von hier aus gruben Suraz’ Anhänger ihnen entgegen, doch die geübten Gräber kamen weitaus schneller voran und erreichten die provisorischen Gänge der Feuerlenker bald. Nachdem die Tunnel erweitert und befestigt waren, konnten die zurückgebliebenen Feuerlenker ihren Weg hierher fortsetzen und siedelten sich in diesen Höhlen an. Die anderen Gilden halfen beim Ausbau der Tunnel und legten für die Verstorbenen einen Gedenkgarten nahe der später entstandenen Bahnstation an.“, berichtete sie über die Situation vor dem Bruch mit den anderen Clans.

 

Rognil bestätigte diesen Teil der Geschichte, der alle Clans gleichermaßen betraf. Er ergänzte Harsabnas Erzählung mit seinen eigenen Erfahrungen: „Die Zusammenarbeit beim Tunnelbau lief sehr gut. Ich begleitete damals Morwins Trupp, der sich zu jener Zeit durch das südliche Hochgebirge arbeitete. Die Brigade bestand aus Steinformern, Druiden, Erzformern, einem der Ernährer und mir, der den Verlauf protokollierte. Uns folgten die Händler, denen bis dahin keine Kaverne gut genug gewesen war, um sich niederzulassen. Nun leben sie weit im Südwesten und betreiben einen multikulturellen Marktplatz.“ Die Details unseres Besuches in Sajranzizar sollten hier nicht zum Thema werden, aber die Gelehrte bedankte sich für die Ergänzung und machte sich Notizen an ihrem Schreibpult.

 

Kurz darauf setzte sich Harsabna wieder zu uns und fuhr mit der Geschichtsstunde fort. „Die Feuerlenker hatten genug davon, sich den anderen Clans zu fügen und beharrten darauf, sich frei entfalten zu dürfen. Suraz stellte sich an die Spitze dieser Bewegung, die Tyron und den anderen Clans missfiel. Es gelang dem ehemaligen Ratsherrn nicht, seine Gilde davon zu überzeugen, dass die anderen Zwergenclans für das gesamte Volk nur das Beste wollten. Der Widerstand der Feuerlenker gipfelte in eine offene Revolte, die Suraz anführte. Tyron wurde eingesperrt, dann trieben die Feuerlenker alle Fremden, die sich ihnen nicht anschließen wollten, in die Tunnel und schütteten die Zugänge zu. Die Emotionen kochten hoch, ihr inneres Feuer war nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen, was dazu führte, dass sie den Gedenkgarten zerstörten. Als sich die Lage beruhigt hatte, wurde dort eine Warnung hinterlassen, die mögliche Besucher abschrecken sollte.

Suraz konfrontierte kurz darauf den gefangenen Tyron, der sich dem neuen Anführer kampflos ergab. Noch war Suraz’ Wut nicht verraucht gewesen, sein Herz loderte erneut auf und er warf Tyron mit den eigenen Händen in den Feuersee. Für den Clan wurde er zum Symbol der neuen Freiheit und zum ersten König der Feuerzwerge.“ 

 

Schweigen befiel uns. Wir hatten um die Eskalation gewusst, aber die Tragik dahinter belastete unser Gemüt so schwer, wie eine alte Schuld, die nicht mehr abgegolten werden konnte. Foret schluckte hörbar, Spigna rollten dünne Tränenfäden über die Wangen. Mit hängenden Schultern saßen wir still im Kreis, Harsabna musterte jeden aus unserer Gruppe. Auch wenn sie ein freundliches Lächeln zeigte, wussten wir, dass sie hier dem Auftrag ihres Königs Folge leistete, uns zu prüfen.

 

Erneut begann sie mit ihrer wohlklingenden Stimme zu berichten. „Suraz war kein Despot, sondern, trotz seiner Grausamkeit Tyron und den anderen Clans gegenüber, ein Visionär. Unser Clan schottete sich nicht nur vor der Außenwelt ab - wir wurden zu dem Volk, das wir immer werden wollten. Frei in unseren Entscheidungen, gemeinschaftlich in unserem Tun. Der erste König verpflichtete alle Feuerzwerge zu einer militärischen Ausbildung, damit wir uns im Ernstfall gegen Eindringlinge behaupten konnten. Unter seiner Führung wurde der Königshof auf der Obsidianinsel geplant, der als Kaserne und Regierungssitz in einem funktionieren sollte. Ihr seid dort im Moment untergebracht und habt unsere Soldaten gesehen. Die Ausbildung dort dauert zwei volle Zyklen, ehe die Rekruten erneut ihrer eigentlichen Berufung nachgehen dürfen. Nach der Ausbildung liegt es an den Zwergen selbst, ob sie nicht sogar den Militärdienst fortsetzen und wie Rybor im Rang aufsteigen.“, erklärte sie die Bedeutung der Soldaten. Kein anderer Clan sonst hielt militärische Stärke für wichtig, für die Feuerzwerge war sie gesellschaftlich nicht mehr wegzudenken.

 

„Die Macht unseres Königs beruht nicht auf Abschreckung, wie es auf dem ersten Blick den Anschein erwecken könnte. Seine Führungsstärke liegt im Zuhören und in seiner pragmatischen Art, Probleme zu bewältigen. Ob Tyron, Plegir, Urolf oder Garon, jeder unserer Könige sorgte sich um die Zwerge der Feuerhöhlen. Sie sorgten für ausreichend Nahrung und gaben dem Leben hier unten einen Sinn. Die Feuermagie wurde zum Grundpfeiler der Gesellschaft, da sie in unserem Clan keine Angst hervorrief, wir lernten mit ihr umzugehen und zu lenken. Unter uns gehört sie zum Alltag wie ein sättigendes Mahl es für alle Zwerge tut.“, ergänzte Harsabna, wobei sie zum ersten Mal alle Namen der Feuerkönige genannt hatte.

 

Sie seufzte angestrengt und strich ihr langes lockiges Haar nach hinten, eine rote Strähne hatte vor ihren Augen gehangen. Dann räusperte sie sich und fragte: „Habt ihr Durst? Mir hat das lange reden die Kehle bereits ausgetrocknet.“ Eine Antwort wartete die Gelehrte nicht ab, sondern stellte einfach zehn Becher aus Steingut auf ein Tablett, das sie auf einem kleinen Tisch platzierte. Kurz darauf ging sie in den Nebenraum und erschien nur wenige Augenblicke später mit einem großen gefüllten Krug. Sie nahm sich einen der Becher, goss sich ein und trank genüsslich. Spigna tat es ihr nach und lächelte nach einem Schluck. „Das Wasser ist so kühl und frisch.“, schwärmte sie. Wir nickten uns ringsherum an, dann sorgen Spinella und Olthek dafür, dass bald jeder einen Becher in seinen Händen hielt. Wir erfrischten uns bis der Krug geleert war. Pelok bot an, ihn erneut zu füllen und ließ sich von Harsabna erklären, was zu tun war. „Nebenan befindet sich eine kleine Küche. Am Steinbecken findest du ein Ventil, das den Wasserfluss regelt. Das Wasser kommt aus einer tief gelegenen Quelle und wird durch eine Leitung hinauf in die Stadt gefördert. Die Felskuppel, in der wir leben, befindet sich unter dem nördlichen Meer. Die Feuerinsel, die von den Norskmen bevölkert wurde, liegt südwestlich von hier. Ihr könnt mir weiterhin Fragen stellen. Ich kann mit eurer Neugier umgehen, denn mir seid ihr wirklich willkommen.“, ein breites, freundliches Lächeln umspielte ihre Lippen, Wissbegierde funkelte in ihren dunklen Augen.

 

„Erzählt mir vom Hartfels und von Ubâr Dûm. Gestern hattet ihr eine Verwandte namens Ulgra erwähnt, die ihr kennt. Ich möchte hören, was ihr zu berichten habt.“, forderte sie uns enthusiastisch auf. Ich sah daraufhin zu Foret, der mir grinsend zunickte.

Er nahm noch einen Schluck aus seinem Becher und begann mit seinem Bericht: „Nachdem Daril in der Metbaude, meinem Domizil in Takal Dûm, aufgetaucht war, entschieden wir uns, die Stadt in nordwestlicher Richtung zu verlassen und folgten den Tunneln. Unterwegs trafen wir auf Elfen, die uns zu einem Portal brachten, mit dem wir nach Norwegen gelangten, der Heimat der Norskmen, die du kennst. Dort, in einem der verschneiten Berge, hatten die Erzformer die Siedlung Mebel’aban gegründet, woher Olthek stammt. Auch dein Großvater Wuldin gehörte zu ihnen. Als wir nun die Zwerge aus dem Hartfels kennenlernten, war Callia, Oltheks Tante, die Ratsvorsitzende der Stadt. Die Leute dort leben in einer friedlichen, geordneten Gemeinschaft, schöpfen ihre Lebensfreude aus ihrem Tagwerk und dessen Früchten. Ein herzlicher Schlag von Zwergen.“ Dabei wechselte sein Blick immer wieder von Harsabna zu Olthek und wieder zurück. Der jüngere Mann konnte seine Freude über die Ausführungen des älteren nicht verbergen, sein dankbares Lächeln erhellte förmlich den in rot getauchten Raum.

Nun ergriff er das Wort. „Das Leben im Hartfels war immer mit Arbeit verbunden, was ich als sehr erfüllend empfand. Mutter und Tante Callia waren gute Vorbilder. Sie zogen mich gemeinsam auf, da mein Vater bei einem Felsrutsch beim Ausbau der Stadt tödlich verletzt wurde, als ich noch sehr klein war. Ich kannte es einfach nicht anders. Schon mit siebzig Jahren schloss ich mich der Wachmannschaft an und wurde dazu abgestellt, Garg, den Bergtroll, zu beaufsichtigen, der zum Schutzsystem des Hartfels gehört. Als Foret und Daril sich unserem Tor näherten, wollte er schon auf sie einschlagen, doch ich konnte ihn davon abhalten. Ein Glück für die beiden und für uns alle, sonst wären wir heute nicht zusammen hier.“, gab er unsere erste Begegnung zum Besten.

 

Pelok lachte auf, als Olthek seine Anmerkung abschloss. Kichernd begann er zu erzählen: „Ich hörte damals die Goblins im alten Speisesaal protestieren, als Daril und Foret dort aufgetaucht waren. ‚Zwerge haben Waffen! Regelverstoß!‘, riefen sie und Ulgra rannte nach vorn, sprang behände auf den Tresen und forderte eine Kampfpause. Unsere beiden Freunde schauten ziemlich verdutzt drein, wie sie da mit halb vergammelten Lebensmitteln beschmutzt an der Wand standen, ihre Waffen in den Händen. In voller Kampfrüstung stand die Kommandantin erhobenen Hauptes vor den verwirrten Goblins, deren Häuptling verdrossen den Abmarsch seiner Leute anordnete. Wir sammeln unsere Essensreste, um die Goblins, die unter der Stadt leben, bei Laune zu halten. Sie dürfen dann einmal in der Woche eine Essensschlacht veranstalten, um sich auszutoben. Foret und Daril kamen in eben einem solchen Moment bei uns an. Ulgra war außer sich und amüsierte sich köstlich über die Neuankömmlinge, die sie direkt in die Waschräume schickte. Das ließ sie sich aber ihnen gegenüber nicht anmerken und überspielte das mit militärischer Härte. Ihre Haare sind ebenso wellig wie Eure, werte Harsabna. Ihr dunkelbraunes Haar, durchzogen von blonden Strähnen, fasste sie meist lose mit einem dicken Silberreif zusammen. Auf die Rüstung, die sie im Dienst trug, war sie besonders stolz, da euer Großvater sie ihr geschenkt hatte. Wuldin und Hugir müssen irgendwann nach dem Bau der Reisetunnel in meine Heimatstadt gekommen sein, wenn ich die wenigen Informationen, die ich über sie habe, richtig zusammenfüge. Euer Vater war demnach zum Feuerlenker berufen. Das erklärt, weshalb ich nie von ihm gehört hatte. Und wieder sehe ich Ulgra, wenn ich in Euer Gesicht schaue, werte Harsabna. Ihr könntet Zwillingsschwestern sein, wüsste ich es nicht besser.“

 

Erneut lächelte die Gelehrte. „Womöglich teile ich den Humor meiner Cousine, aber nicht ihr kämpferisches Wesen. Danke dass ihr mir davon erzählt habt.“, bedankte sie sich. Noch einmal ging sie zu ihrem Schreibpult, hielt noch ein paar Gedanken fest und dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit wieder unserer Gruppe. „Lasst uns zum Königshof aufbrechen. Die Mittagsstunde ist nah und Garon möchte euch bald sehen. Ich gehe mit euch, da ich auch hungrig bin und zur Audienz wurde ich ebenfalls geladen.“, ließ sie uns im Plauderton wissen. Wir erhoben uns aus dem Sitzkreis, stellten die Becher zurück auf das Tablett und verließen im Gänsemarsch die Schreibstube.

 

Die schmale Straße wirkte ruhig, es waren keine Arbeitsgeräusche zu hören und nur wenige der grauhäutigen Zwerge waren unterwegs. Ein paar neugierige Blicke folgten unseren Schritten, als wir die Stufen der Brücke betraten. Von hier aus bot sich eine fantastische Aussicht über die gesamte Höhle, in deren Mitte der Königshof auf der Obsidianinsel sich majestätisch und trutzig erhob. Wir gingen langsam hinunter, der Kasernenburg entgegen, und umrundeten erneut die dicken Mauern, bis wir durch das Haupttor den Hof erreichten. Harsabna zeigte mit der rechten Hand auf eine Tür im Gang. „Falls sich jemand frisch machen mag, dort sind die Waschräume. Ich suche uns einen Tisch und warte, bis wir wieder vollzählig sind.“, übernahm sie konsequent die Führungsrolle und ging in den Speisesaal hinein.

Die Gruppe teilte sich auf. Ich folgte mit Spigna, Olthek, Khûna und Gimal der Gelehrten. An einer der langen Tischreihen war noch ausreichend Platz. Einige der anwesenden Soldaten sahen mürrisch zu uns, andere interessiert. Es dauerte nicht lange, bis auch die anderen Kameraden zu uns stießen und sich setzten. „Es läuft zu jeder Mahlzeit so ab, wie ihr es bereits am Morgen erlebt habt.“, erklärte uns die einheimische Zwergin und ergänzte: „Reiht euch an der Ausgabe ein und nehmt von den Köchen das Essen in Empfang.“ Einstimmig nickten wir und stellten uns in der wartenden Schlange an.

 

Die Frau an der Theke trug eine schwere Lederschürze. Violett glühten ihre Augen mich an, die von einer beinahe weißen Kurzhaarfrisur eingerahmt waren, als sie mir einen hübsch angerichteten Teller entgegenhielt. „Bohnenpuffer, Rübengemüse und Pilzragout.“, sagte sie knapp als ich das Essen entgegennahm, das köstlich duftete. Sie erwiderte mein zufriedenes Lächeln, indem sie zurückgrinste, drängte mich aber weiterzugehen, um den hungrigen Zwergen hinter mir den Weg frei zu machen. Freudestrahlend setzte ich mich wieder an den Tisch und wartete auf den Rest der Gruppe, bevor ich zu essen begann. Ich bemerkte, welche Pilze im Ragout verwendet worden waren; die Menschen nennen sie „Krause Glucke“, „Austernpilz“ und „Mönchskopf“ und sie verwöhnten meinen Gaumen mit ihrem Aroma, als ich einen Bissen davon aß. Ich schaute in die Gesichter meiner Freunde, sah zufriedene Mienen und vernahm wohlige Essgeräusche von ihnen. Selbst Foret lobte die einfache, aber köstliche Speise.

 

Nachdem das Klappern des Bestecks auf den Tellern verstummt war, forderte Harsabna uns auf, Eile walten zu lassen. Die Audienz würde in Kürze beginnen und einen König sollte man nicht warten lassen. „Kommt, Garon ist zwar geduldig, aber er verabscheut Unpünktlichkeit.“, trieb sie uns an. Schnell hatten wir den Tisch abgeräumt und die Teller weggebracht, dann setzten wir uns erneut in Bewegung. Wir verließen den Speisesaal, gingen rechts am Rand des Hofes entlang und stiegen die Treppe hinauf, die zu den königlichen Hallen hinaufführte. Es ging geradewegs zum Thronsaal, wo wir bereits am Vortag mit dem Herrn der Feuerzwerge gesprochen hatten. Die Gelehrte wies uns an, in einer Reihe hinter den Sitzplätzen Aufstellung zu nehmen.

 

Wir warteten nicht lange, bis ein Soldat die linke Tür öffnete und eintrat. Mit einem Stock klopfte er zweimal auf die Steinfliesen, um unsere Aufmerksamkeit zu wecken. Mit kräftiger Stimme sagte er: „Es treten ein: Die Minister der Feuerhöhlen.“ Ein weiteres Mal setzte er geräuschvoll den Stab auf den Boden und sechs Zwerge in unterschiedlichen Roben erschienen im Türbogen. Je zu zweit traten sie ein und nahmen auf der Steinbank an der Tafel Platz, wobei sie taxierende Blicke auf uns warfen. Noch einmal klopfte Holz auf Stein und der Diener sagte mit klarem Ton: „König Garon, Herrscher der Agâr’ursul!“ Die Minister erhoben sich und setzten sich erst wieder, als auch Garon zwischen ihnen seinen Platz eingenommen hatte. Der Page drehte sich um und schloss die Tür hinter sich.

 

„Ihr seid hier, gut.“, begann der König zu sprechen. „Ich hoffe, ihr habt dazugelernt, seitdem ihr hier seid. Auch ich habe mir Gedanken gemacht und mit meinen Beratern gesprochen. Sie sind sich uneins, aber ich bin zu einem Entschluss gekommen. Ich werde Rybor mit euch schicken, sobald ihr euren Weg fortsetzen wollt. Ihr dürft euch unter seiner oder Harsabnas Aufsicht frei unter uns bewegen. Euer Quartier werdet ihr solange behalten.“, gab Garon ohne Umschweife bekannt. Sein Wort duldete keinen Widerspruch und mir fiel ein Stein vom Herzen.

 

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