
Nur ungern wollte ich mich aus dieser Umarmung lösen, auch wenn sie in Gegenwart von Fremden stattfand. Immer wieder hatte ich in all der Zeit an Linnarhan denken müssen und nun war sie hier. Wir reichten uns schließlich die Hände und ich kehrte mit ihr gemeinsam zu den anderen zurück. Alle zeigten ein Lächeln, als sie uns ansahen.
Mit einer angedeuteten Verbeugung grüßte die Elfin meine beiden Begleiter, Foret reichte ihr die Hand, die sie annahm und drückte. Ich stellte ihr Pelok vor, den sie noch nicht kannte. Mit großen Augen stand er auf und grüßte sie, indem er ihr ein respektvolles Nicken entgegenbrachte. Alle nahmen Platz, Linnarhan und ich hielten uns weiterhin die Hände.
„Es ist schön zu sehen, dass ihr einander gefunden habt.“, sagte Odiel mit ruhiger Stimme und sichtlich erfreut. Dorik ergriff das Wort: „Ich nehme an, dass ihr nicht lange hier bleiben werdet. Eure Mission ist zu wichtig, um sie nicht fortzuführen. Wir hatten reichlich Zeit, um uns mit allen Aspekten zu beschäftigen, die eine Vereinigung der Clans mit sich bringen könnte. Berichtet uns von eurer Reise und wir beratschlagen gemeinsam über die nächsten Schritte.“ Es klang etwas fordernd, doch diese Zielstrebigkeit setzte klare Ziele in mir. „Nun gut, das ist ein Vorschlag, den ich gern annehme.“, erwiderte ich selbstbewusst.
Foret und ich berichteten ausführlich von unserer gemeinsamen Reise und den erlangten Erkenntnissen. Zwischendurch wurden Essen und Getränke in den Turm gebracht.
Als ich inmitten der Nacht von den Ereignissen des vergangenen Tages berichtete und meine Ausführungen abschloss, meldete sich Elengruin zu Wort: „Ein Portal in einem Schrank? Die Bilder, die Ihr beschrieben habt, kenne ich, aber dass sie zu der Front einer Kommode werden konnten, gefällt mir nicht. Einst zierten die drei Tafeln einen Schrein in den dichten Wäldern zwischen den beiden großen Flüssen im Zentrum des Flachlandes. Wenn ich das richtig verstehe, ist daraus in heutiger Zeit Ackerland geworden. Menschen müssen den Schrein gefunden und für ihre Zwecke verwendet haben.“ Er trug seine Vermutungen nüchtern und analytisch vor, doch ein wenig Ärger war aus seiner Stimme herauszuhören.
Filoscha führte nun das Gespräch fort und machte sich bemerkbar, indem sie von ihrem Platz aufstand. „Also wart ihr mittlerweile bei den Erzformern, den Wissenden, den Köchen und nun bei uns. Der andere Teil eurer Gruppe zog zum Hochgebirge, um dem Weg der Steinformer zu folgen und im weiteren Verlauf womöglich die Händler aufzuspüren. Fehlen noch die Feuerlenker. In der Gründungszeit hatten wir noch Kontakt zu ihnen, aber irgendwann kamen keine Nachrichten mehr von der Feuerinsel zu uns. Die Bahnanlage wurde seitdem nicht mehr benutzt, aber unsere Station ist noch intakt. Es sollte demnach wenig Schwierigkeiten bereiten, die Feuerlenker zu erreichen.“, führte sie aus. Ich musste nun Entscheidungen treffen.
„Das Wohl der Zwergengesellschaft stellt immer noch mein oberstes Ziel dar. Ich möchte zwar gern noch hier bleiben, aber ich sehe, dass sich hier Möglichkeiten bieten, mit dem Vorhaben zügig voranzukommen. In unserer Gruppe benötigen wir einen fähigen Druiden, der zu unserer Sache steht, sonst werden wir nicht erfolgreich sein.“, wog ich die Gegebenheiten ab. Mir fielen diese Worte schwer, denn es schmerzte mich, Linnarhan wieder verlassen zu müssen. Dorik und Filoscha nickten. Die beiden Elfen standen auf und verabschiedeten sich mit einem eindeutigen Handzeichen. „Zwergische Angelegenheiten. Wir sind da, wenn wir benötigt werden.“, sagte Odiel ohne Umschweife und ging. Elengruin folgte ihr.
Nun saßen noch fünf Zwerge und eine Elfin am Tisch, die sich bewusst war, dass die gemeinsame Zeit nur von kurzer Dauer sein würde.
Nach einigen Momenten des Schweigens erhob Pelok sich. „Ich sehe, wie groß die Wiedersehensfreude bei euch ist und daher bewundere ich deine Haltung, Daril.“, begann er zu reden. Einmal musste er schlucken, dann fuhr er fort: „Uns bietet sich hier wirklich eine gute Gelegenheit, die Reise zu beschleunigen. Doch ist es eine gute Idee, einen Druiden aufzunehmen, den wir nicht kennen? Ich meine, dass wir einige Tage hier bleiben sollten, um die Leute hier näher kennenzulernen. Ihr hattet doch selbst in Ubâr Dûm gemerkt, dass meine Leute, mich eingeschlossen, von einem besonderen Schlag sind.“
Das waren berechtigte Fragen und Einwände des jungen Zwerges, auf die Foret reagierte: „Du hast Recht, Pelok. Wir sollten trotz der Möglichkeiten nichts überstürzen. Schauen wir uns an, was die Druiden hier aufgebaut haben und lauschen wir ihren Geschichten.“ Ich nickte und dankte Foret damit, dass er mir ein wenig die Last ein wenig abnahm. In meinem Freund steckt mehr, als ich damals in Takal Dûm geahnt hatte.
Filoscha und Dorik hatten aufmerksam zugehört, nun reagierten sie auf unsere Diskussion. Die Frau zog ein Pergament aus ihrer Robe und breitete die beschriebene Rolle vor uns auf dem Tisch aus. „Die Steinformer hatten einst diese Karte bei uns gelassen. Sie waren die treibende Kraft, die alle neuen Siedlungen mit dem Bahnsystem verbinden wollte. Sie sprachen davon, dass irgendwann in der Zukunft der Bewahrer erscheinen würde, um die Heimat neu zu besiedeln und die alte Ordnung wieder herzustellen. Meine Ahnen hatten ihre Worte vernommen und aufgezeichnet, als die Steinformer hier ihr Bauvorhaben durchführten. Auf der Karte seht ihr die Streckenführung mit allen Halten und Zwischenstationen.“
Ich ließ die Hand der Elfin los und schaute ungläubig auf die Zeichnung. Foret und Pelok sprangen ebenfalls auf und warfen neugierige Blicke darauf.
Die Landmassen, die eingezeichnet waren, hatten sich in den letzten tausend Sonnenläufen kaum verändert, also war es einfach, sich darauf zu orientieren. Dorik zeigte mit dem Finger auf einen Punkt im nördlichen Teil einer großen Insel. „Dort befinden wir uns, in den Grünen Bergen, Danakh’abad, das die Elfen Amon Calen nennen.“ Ich nickte. Wir befanden uns also in Schottland, auf den Britischen Inseln. Mein Blick folgte der eingezeichneten dicken Linie, die den Punkt tangierte, nach Westen. Der nächste Halt befand sich auf einer weiteren, kleineren Insel, bei der es sich um Island handelte. Er trug den Namen Agâr 'ursul, Feurige Höhlen. Die Karte betätigte die Vermutungen, die wir in den Schimmerminen angestellt hatten, denn die Bahnstrecke verband die entferntesten Neuansiedlungen ringförmig. Ubâr Dûm lag innerhalb des Rings und wurde durch Zwischenstationen damit verbunden. So erhielt man auch einige direktere Verbindungen. Takal Dûm lag abseits und konnte über die Hohlburg erreicht werden.
Insgesamt ein ausgeklügeltes System. Leider wussten Foret und ich nur zu genau, dass nicht alle Tunnel die Zeit heil überstanden hatten.
Weit im Südwesten, in den Pyrenäen, fand ich die Markierung einer Stadt, deren Namen ich noch nicht kannte, aber der Sinn war leicht zu erfassen. „Sajranzizar“. Der Begriff umschrieb einen Handelsposten, „Platz des Angebotes der Händler“ kommt einer Übersetzung am nächsten.
Eine andere Siedlung der Steinformer als Mebel’aban konnte ich aber beim besten Willen auf der Karte nicht entdecken.
Nach eingehendem Studium der Karte berieten wir uns weiter und sich setzte mich wieder zu Linnarhan, die ihren Arm um mich legte. Ich genoss den Moment und konzentrierte mich dann wieder auf die Gespräche. „Das ist phänomenal!“, bemerkte Pelok enthusiastisch. Alle Zwerge nickten zur Bestätigung. „Gern hätte ich Rognil, Spinella und Olthek hier, sie wären mit Sicherheit eine große Hilfe.“, dachte ich laut nach. Foret schaute mich mit einem bestätigendem Blick an. „Ja, ich frage mich, wie es ihnen ergangen ist.“, sagte er nachdenklich. Ich versuchte alle Möglichkeiten zu bedenken und stieß die nächste Diskussion an: „Wir haben wieder die Wahl. Zu den Feuerlenkern oder zu den Händlern? Beide können wir von hier aus mit der Bahn erreichen, sofern sie noch funktionsfähig ist. Ich denke, dass wir unsere Freunde am ehesten wiedersehen können, wenn wir uns nach Sajranzizar wenden. Um zu den Feuerlenkern zu kommen, würden wir dann wieder hier einen Halt machen.“ Foret dachte nach und sprach seine Gedanken aus: „Ich halte beide Wege für wichtig, doch als große Gemeinschaft können wir sicher mehr bewirken. Lass uns nach Süden fahren.“ Mit einem Nicken ermunterte ich Pelok dazu, seine Meinung kundzutun. „Ich werde euch folgen, wohin ihr geht. Da aber die Möglichkeit besteht, alte Kameraden aufzuspüren, bin ich geneigt, diesem Vorhaben den Vorrang einzugestehen. Den Weg nach Süden zu nehmen, finde ich am sinnvollsten.“, erklärte er sich.
Damit war der weitere Fortgang unserer Mission klar umrissen.
Die Gastgeber hatten unserem Gespräch still zugehört, wendeten sich aber an mich, als wir aufstanden, um uns die Beine zu vertreten. Wir verließen den Turm und traten auf den runden Vorplatz. Der Nachthimmel lag bereits wie eine samtene Decke über dem Hügelland, aus einigen Hauseingängen und Fenstern drang mildes Licht mit einer grünen Nuance. Die Stadt der Druiden strömte eine beruhigende Atmosphäre aus, die sich auf mich niederschlug. Gedankenverloren strich ich Linnarhan, die neben mir stand, über den Rücken. Sie lächelte auf mich herab und hauchte einen weiteren Kuss auf meinen spärlich behaarten Kopf.
Ich sprach Dorik an: „Habt ihr einen Platz für uns, wo wir die Nacht verbringen können? Ein wenig Schlaf würde guttun.“ Foret und Pelok empfanden wohl auch so, denn sie nickten zustimmend. „Natürlich. Ich bringe euch zur Taverne. Die Wirtin weiß Bescheid und die Zimmer sind gewiss schon vorbereitet.“, antwortete er und ging voran.
Der aus dem Felsen hervorragende Eingang war mit einem schwach leuchtenden Rankenmuster versehen, das elfischen Ursprungs war, aber auch zwergische Elemente aufgriff. Die geschwungenen Linien waren in einem kantig wirkenden Rand eingelassen. Die Symbiose der Stile entfaltete eine tolle Wirkung, die mich dazu einlud, das Gebäude zu betreten. Im Inneren setzte sich das künstlerische Thema fort und spiegelte sich in den Schnitzereien am hölzernen Tresen wider. Die Tische und Stühle, auch die Dielen führten das Muster fort und trugen es durch den ganzen Raum. Eine Elfin mit blondem, offenem Haar fegte gerade den Holzboden, als wir eintraten. „Mae govannen, Cyria.“, grüßte Dorik die Frau, die aufschaute und den Gruß erwiderte. „Tretet ein, Wanderer. Wünscht ihr noch zu speisen oder einen Schlaftrunk? Die Zimmer im Obergeschoss sind vorbereitet, falls ihr euch zurückziehen wollt.“, bot sie an uns gerichtet an. Dorik verabschiedete sich und wünschte eine gute Nacht.
Ich nahm auf einen der niedrigeren Stühle Platz und sagte zu der Elfin: „Ich würde gern ein Bier trinken, werte Cyria. Danke, dass Ihr fragt.“ Linnarhan, Pelok und Foret setzten sich dazu und bestellten auch ein Getränk bei der Wirtin.
„Es war anstrengender als jeder Marsch, dort den halben Tag zu sitzen.“, bemerkte Foret. Pelok meinte: „Ein Bier ist zum Abschluss des Tages genau das Richtige.“
Mit drei hölzernen Humpen und einem Kristallbecher kam Cyria an den Tisch und verteilte die Trinkgefäße. Das Bier war hell, mit einer dezenten Kräuternote, die mir gefiel. Genussvoll trank ich einen Schluck und versuchte alle Aromen zu erfassen. Die leichte bittere Note vom Hopfen, das hell geröstete Malz und verschiedene Bergkräuter spielten perfekt zusammen und erzeugten ein wahrlich köstliches Bier. In aller Stille, während jeder am Tisch den eigenen Gedanken nachhing, ließen wir den Tag ausklingen.
Die Unterkünfte im Obergeschoss boten Platz für je zwei Leute, die Betten waren breit genug für Zwerge und ausreichend lang für Elfen. Das Licht der Ranken konnte man am Türdurchgang mit einer Berührung in der Intensität anpassen. Strich man mit der Handfläche abwärts, wurde es dunkler, aufwärts gestrichen erhellte sich der Raum.
Nun waren Linnarhan und ich allein und konnten ungestört reden. Ihre Zuneigung hatte ich von Anfang an gespürt und ich genoss ihre Nähe sehr. Wir setzen uns gegenüber auf die Holzdielen und schauten uns in die Augen. „Ich hatte dich vermisst.“, kam es zögerlich aus meinem Mund. Mit ihrer sanften Stimme antwortete sie: „Mir ging es ebenso. Seit ihr unsere Enklave verlassen hattet, war ich besorgt, ob es dir gut geht. Als sich die Gelegenheit bot, mit dem Kurier nach Amon Calen zu gehen, nahm ich sie wahr. Uns war bewusst, dass ihr früher oder später diesen Ort erreichen würdet. Haldor hat mir aufgetragen, dir und Foret Grüße auszurichten.“ Ich mochte den Akzent, mit dem sie sprach, ihr Khuzdul war nahezu perfekt. „Wir hätten also viel eher hier sein können und die Annehmlichkeiten nutzen können, die Elfenmagie bietet? Wir beide hätten uns viel eher wiedersehen können?“, fragte ich erstaunt. Sie lächelte und sagte: „Nicht ganz. Du hattest deinen Weg gewählt, dabei hatten wir dich unterstützt. Du fragtest nicht nach anderen Möglichkeiten.“ Ein wenig musste ich über diese Antwort nachdenken und kam zu dem Schluss, dass sie recht hatte. Ich wusste damals nicht, dass die Elfen mir den Weg hätten einfacher machen können. Ich wollte zum Hartfels. Ich ging meinen Weg und ich bereue nichts davon. Ich lernte Zwerge und andere Personen kennen, die ein Stück des Weges mit mir gingen. Ich fand mich selbst und meine Aufgabe. Alles lief in den richtigen Bahnen und ich fühlte mich stolz auf das, was hinter mir lag. „Stimmt. Alles lief gut und richtig. Ich bin hier mit dir, das zählt.“, war meine Antwort und ich lächelte sie an, was sie strahlend erwiderte.
Sie drehte ihren Rücken zu mir und rückte näher, dann schloss ich sie in die Arme. Innig versunken saßen wir noch da, bis mir die Augen zufielen und wir auf das weiche Bett wechselten und umschlungen einschliefen.
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